Schule oder Lehre

Jeder Schulabbrecher kostet den Staat 1,8 Millionen Euro

Clemens Fabry
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Unter 18-Jährige müssen in Österreich eine Ausbildung machen. Dafür sorgen die Behörden. Es gibt aber Verbesserungsbedarf, zeigt eine aktuelle Studie.

Seit Sommer 2017 gilt in Österreich die Ausbildungspflicht. Jugendliche müssen bis zum 18. Geburtstag eine weiterführende Schule besuchen oder eine alternative Ausbildung machen. Dem Staat bringt das langfristig viel Geld und potenziell mehr soziale Gerechtigkeit, zeigen das Institut für Höhere Studien (IHS) und das österreichische Institut für
Berufsbildungsforschung (öifb) in einer Studie. Sie fordern aber auch Nachbesserungen.

Wer nur die Pflichtschule abgeschlossen hat, wird öfter und länger arbeitslos, hat mehr Gesundheitsprobleme und scheidet früher aus dem Berufsleben aus. Jeder Bildungsabbrecher koste den Staat 1,8 Millionen Euro zusätzlich über die gesamte Lebensdauer. Gründe sind laut Georg Konetzky, Sektionschef im Wirtschaftsministerium, neben den Gesundheitskosten auch frühere Pensionierung und Sozialleistungen.

In Österreich haben 2016 knapp neun Prozent der 15- bis 17-Jährigen ihre Ausbildung frühzeitig abgebrochen. Die Ausbildungspflicht soll verhindern, dass nach der Pflichtschule keine weitere (Aus-)Bildung abgeschlossen wird. Kann dadurch nur die Hälfte der Bildungsabbrüche künftig vermieden werden, bringt das laut Studie nach zehn Jahren eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 110 Mio. Euro jährlich, nach 50 Jahren sollen es dann 4,4 Mrd. Euro pro Jahr sein. Gleichzeitig gehen IHS und öifb davon aus, dass das Budgetdefizit dadurch langfristig um 0,4 Prozent des BIP sinken wird, während Lohn- und Umsatzsteueraufkommen um je 100 Mio. und die Sozialversicherungsabgaben um 200 Mio. Euro pro Jahr steigen.

Fußball zur Berufsorientierung

Die Studienautoren orten durch die "umfassende Strategie zur Reduktion von frühem Schulabbruch" außerdem erhebliches Potenzial für mehr soziale Gerechtigkeit. "Anstelle eines 'more of the same', das bei der durch die Ausbildung bis 18 angesprochenen Zielgruppe nach neun Pflichtschuljahren nicht zum gewünschten Bildungserfolg geführt hat, eröffnet dieser Ansatz alternative Möglichkeiten, einen Abschluss zu erlangen.".

Neben Schule und Lehre kann die Ausbildungspflicht nämlich auch etwa durch Angebote der Erwachsenenbildung, Vorbereitungskurse für Externistenprüfungen oder andere Ausbildungen und durch die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erfüllt werden. Die Umsetzung läuft dabei teilweise über ganz niederschwellige Angebote wie das Projekt "Tore für die Zukunft", bei dem das Spielen im Fußballverein mit Berufsorientierung kombiniert wird.

Sozialarbeit und Psychologie

Nachbesserungsbedarf sehen IHS und öibf bei der überbetrieblichen Ausbildung, für jene, die keine Lehrstelle gefunden haben. Derzeit werde diese "regional und konzeptionell sehr unterschiedlich (erfolgreich) umgesetzt". Maßnahmen wie Schulsozialarbeit und -psychologie, Jugendcoaching am Übergang von der Schule in den Beruf und das Lehrlings- und Lehrbetriebscoaching zur Vermeidung von Abbrüchen sind laut Studie "für die Prävention von Drop-out von hoher Relevanz".

Allerdings gibt es zu wenig davon. Auch die Vernetzung mit
Vereinen, Stadtteil- und Grätzlarbeit müsste noch viel umfassender
mitgedacht werden, um Bildungsabbruch zu vermeiden. Bei
Sonderschulabsolventen wird darauf verwiesen, dass der Besuch einer
Regelschule die Chancen auf Fortsetzung der Bildungskarriere
deutlich erhöht. Soll die Ausbildungspflicht ein Erfolg werden,
müssten die Zuständigen sich außerdem vom Denken in Finanztöpfen und
eng interpretierten Zuständigkeiten und Mandaten verabschieden,
fordern die Studienautoren.

Hartnäckige Behörden

Seit dem Start der Ausbildungspflicht bis 18 muss gemeldet
werden, wenn ein Jugendlicher seine Ausbildung abbricht. Beginnt er
innerhalb von vier Monaten danach keine neue, nehmen
Koordinierungsstellen des Sozialministeriums Kontakt zu ihm auf.
Dabei sind sie äußerst hartnäckig, wie im Ministerium betont wird,
auch ein Dutzend Briefe und Anrufe pro Fall können vorkommen.
Gemeinsam mit dem Jugendlichen wird dann nach einem alternativen
Ausbildungsweg gesucht oder es werden Perspektiven- oder
Betreuungspläne für sie erstellt.

2.390 Jugendliche zwischen 15 und 18 wurden heuer bisher
begleitet, in zwei Drittel der Fälle war das Ergebnis der Betreuung
laut Sozialministerium positiv: Jeder bzw. jede fünfte kontaktierte
Jugendliche ist direkt wieder in Schule oder Lehre eingestiegen,
ebenso viele werden von Jugendcoaches bei der Suche nach dem
passenden Ausbildungsweg unterstützt. Bei einem Drittel der
Jugendlichen wurde die Betreuung erfolglos beendet, meist weil diese
nicht erreichbar waren.

Strafen noch nie ausgesprochen

Bei Nichteinhaltung der Ausbildungspflicht können Strafen bis zu
500 bzw. im Wiederholungsfall bis zu 1.000 Euro verhängt werden. Für
Roland Sauer, Sektionschef im Sozialministerium, ist das aber die
"ultima ratio", man setze auf Beratung. Bisher mussten die
Bezirksverwaltungsbehörden noch nie eine Strafe aussprechen.

Geht es nach dem Bildungsministerium, soll zur Ausbildungspflicht
bis 18 bald eine Bildungspflicht dazukommen. Jugendliche sollen dann
nicht nach neun Jahren Schulpflicht das System verlassen, sondern
erst wenn sie ein Mindestniveau in Lesen, Rechnen und Schreiben
vorweisen. Dafür angedacht sind entweder Kursmodule an den
Polytechnischen Schulen oder - Angebote aus der Erwachsenenbildung.
Mit 18 soll aber auch hier Schluss sein.

(APA/Red.)

(APA/red.)

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