ÖVP-Front gegen die Gesamtschule bröckelt

Oberösterreichs Landesschulratspräsident Enzenhofer hält eine gut durchmischte gemeinsame Schule für möglich.

Fritz Enzenhofer hat eine Idee. Als „eine von mehreren Varianten“, wie er betont. Der oberösterreichische Landesschulratspräsident kann sich vorstellen, dass es in Österreich nur noch Gesamtschulen gibt. Eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen habe für ihn „dann den Schrecken verloren“, wenn es „entsprechende Vorbereitungen gibt und wenn das wirklich seriös und ehrlich gemeint ist“, sagt er der „Presse am Sonntag“. Noch nicht der Fall sei das bei dem Schulversuch der „Neuen Mittelschule“ bis 14. „Das ist vor allem ein Etikett, und wenn dieselben Kinder in denselben Gebäuden in denselben unterrichtlichen Situationen betreut werden, dann ist das Etikettenschwindel.“

Geht man bei der Gesamtschule weiter, mit optimaler Förderung für den Einzelnen, dann müsse auch diese Schulform in Erwägung gezogen werden, sagt Enzenhofer. Der Landesschulratspräsident ist milde geworden, wenn es um die gemeinsame Schule geht. Noch vor wenigen Jahren war der Obmann des oberösterreichischen Christlichen Lehrerverbands ein entschiedener Gegner. Und zwar innerhalb der ÖVP genauso wie gegenüber der SPÖ, der Vorreiterin für eine Gesamtschule.

Käme eine solche, dürfte es keine „Parallelstrukturen“ geben, sagt Enzenhofer heute. Zum Beispiel Eliteschulen: „Das schließt sich aus.“ Hochbegabte müssten in der Gesamtschule genauso Platz und Betreuung finden wie besonders schwache Schüler, wie geistig Behinderte oder wie Kinder von Migranten, die noch nicht oder nicht gut Deutsch können. „Da müssen dann auch die Bildungsnahen mittun.“

Das Konzept müsste allgemein so angesehen sein, dass gut situierte Eltern ihre Kinder nicht – noch mehr als bisher – in Privatschulen drängen. Steht einmal das Konzept in allen Details, müsste die Bevölkerung darüber befragt werden. Derzeit wüssten viele nicht, worum es bei einer Gesamtschule eigentlich ginge.

Eine wichtige Voraussetzung für die Gesamtschule wäre, dass pro Schule maximal 20 oder 30Prozent der Schüler bei der Unterrichtssprache Deutsch hinterherhinken, sagt Enzenhofer. Sonst würde die Mehrheit automatisch an einen anderen Standort drängen. Wie das gelingen könnte, dass 30 Prozent nicht überschritten werden? Für Enzenhofer ist klar: In Städten wie Linz oder Wels müssten Schulen zusammengelegt werden. Je größer die Schulen, desto eher gebe es einen „Ausgleich“.


Sozialpolitisches Agreement. Gesamtschulen müssten „gut durchmischt“ sein, sagt Enzenhofer. Dafür– so wie für jede Alternative dazu– bräuchte es ein „sozialpolitisches Agreement“ der Bundespolitik. Diese müsse endlich klarmachen, was sie eigentlich wolle. Für die Lehrer wäre eine Gesamtschule ein Leichtes: „Das pädagogische Handwerkzeug dafür haben wir.“ Man kenne die innere und die äußere Differenzierung aus Schulversuchen und aus dem Regelunterricht.

Wollte man eine Gesamtschule bald österreichweit umsetzen, müssten nach Ansicht von Enzenhofer auch „die Wirtschaft und die Vertretung der Arbeitnehmer sagen: Das ist Konsens, auf dieser Ebene können wir eine Gesamtschule machen, dafür sind wir auch bereit, sehr viel Geld in die Hand zu nehmen“.

Aber erst, wenn die Organisation klar ist: Wer zahlt für die Lehrer und die Gebäude, der Bund oder die Länder? Wie ist das neue Dienstrecht? Sind Form und Inhalt der Gesamtschule klar, müsse man in der Öffentlichkeit „seriös“ darüber diskutieren, ehe die Menschen entscheiden. Und, so Enzenhofer: „Ich habe weder Priorität für das eine noch für das andere“, also die bestehende Trennung von Hauptschulen und AHS-Unterstufen. Aber nichts solle „unmöglich“ sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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