Großbritannien

Boris Johnson bekommt seine Weihnachtswahl

Boris Johnson hofft auf eine stabile Mehrheit bei der Wahl am 12. Dezember, um den Brexit bis Ende Jänner 2020 abwickeln zu können.
Boris Johnson hofft auf eine stabile Mehrheit bei der Wahl am 12. Dezember, um den Brexit bis Ende Jänner 2020 abwickeln zu können.REUTERS
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Der Premier erzielte nach vielen Rückschlägen einen großen Sieg. Labour gab den Widerstand gegen Neuwahlen auf. Diese sollen nun am 12. Dezember stattfinden, ganz im Zeichen des anstehenden Brexits.

Wien/London. Boris Johnson hatte seine obligate schelmische Miene aufgesetzt, als er sich nach der wöchentlichen Kabinettsitzung am Dienstag auf den Weg von der Downing Street ins ein paar hundert Meter entfernte Parlament in Westminster machte. Unverdrossen hatte der britische Premier die neuerliche Niederlage im Unterhaus am Vorabend zur Kenntnis genommen. Doch nach mehreren Vorstößen für Neuwahlen, die unter anderem am beharrlichen Widerstand der Labour-Opposition zerschellt waren, und einer beispiellosen Serie an parlamentarischen und höchstrichterlichen Rückschlägen, die in anderen westlichen Demokratien locker für fünf Rücktritte gereicht hätten, trug er wie üblich Optimismus zur Schau – demonstrativ mit einer feierlichen Rosette am Revers.

Johnson stand vor dem ersten großen Sieg seit seiner Wahl zum Tory-Chef und Premier vor drei Monaten: Eine Mehrheit für die herbeigesehnte Neuwahl in der Weihnachtszeit war ihm sicher, die die Brexit-Blockade und die Paralyse in der britischen Politik endlich durchbrechen soll. Diesmal sollte kein Heckenschütze, keiner seiner früheren Parteifreunde, dem Premier einen Strich durch die Rechnung machen, wie zuletzt Oliver Letwin mit seinem Zusatz zur Verabschiedung des Brexit-Vertrags.

Corbyn unter massiven Druck

Nur Philip Hammond, der ehemalige Außen- und Finanzminister, kritisierte den Modus: Neuwahlen vor dem EU-Austritt. Es müsste eigentlich umgekehrt ablaufen, fand er. Doch das war eine Minderheitsmeinung, nachdem auch die Liberaldemokraten und die schottischen Nationalisten (SNP) ihre Zustimmung signalisiert hatten. So ganz traute Jo Swinson, die Chefin der LibDems, Johnson und seiner Regierung indes nicht. Es wäre nicht das Parlament, London, wäre am Ende nicht ein Unsicherheitsfaktor aufgetaucht: Oppositionspolitiker setzen sich dafür ein, das Wahlalter von 18 auf 16 Jahren zu senken und EU-Bürger zur Wahl zuzulassen – was Johnson indes rundweg ablehnte. Doch die Initiative wurde erst gar nicht zur Abstimmung zugelassen.

Das Manöver der Opposition setzte zugleich Jeremy Corbyn massiv unter Druck, den intern umstrittenen Labour-Chef, der seiner Partei einen Kurs verordnet hatte, der die Fraktion zunehmend spaltet. Prinzipiell trat Labour stets für vorgezogene Wahlen ein, allerdings nicht ohne eine Sicherheitsklausel für einen geordneten Brexit. Bei der Neuwahl-Abstimmung am Montagabend, bei der eine Zweidrittel-Mehrheit vonnöten war, hatte Corbyn noch die Devise ausgegeben, sich der Stimme zu enthalten.

15 Stunden später schlug er eine Volte, die die britische Öffentlichkeit in Staunen versetzte. Die Verlängerung der Brexit-Frist durch die EU und das Bekenntnis Johnsons hätten seine Bedenken ausgeräumt, tat Jeremy Corbyn kund. Sein neues Credo: Labour ist für eine Neuwahl.

Ein wesentlicher Grund, warum sich Labour so standhaft gegen eine Neuwahl sperrte, war der Tenor der Umfragen, der der größten Oppositionspartei eine schwere Schlappe prognostiziert. Demnach liegt Labour bis zu 15 Prozentpunkte hinter der Regierungspartei, und auch in puncto Popularität ist Corbyn abgeschlagen hinter Johnson. Je später der Wahltermin, desto mehr werde sich der Effekt Johnsons und sein Amtsbonus abnutzen, lautet das Kalkül unter den Labour-Strategen.

So trat jedenfalls das Paradox ein, dass Boris Johnson, der zuvor um jede Stimme gerungen hatte, plötzlich ein weit größeres Votum auf seinen Vorschlag vereinen konnte als notwendig war. Mit 438 zu 20 Stimmen erzielte er sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die er Montag erhofft hatte, die am Dienstag aber gar nicht mehr nötig war. Die Labour-Stimmen waren jetzt eine Draufgabe. Denn beim zweiten Anlauf innerhalb von 24 Stunden hätte auch eine einfache Mehrheit im Fall eines Minigesetzes gereicht. So sehen es die Finessen des britischen Parlaments vor, über die John Bercow, der legendäre „Speaker“, wie ein Gralshüter wacht. Es war womöglich einer seiner letzten Sitzungstage. Für den 31. Oktober, den nun obsoleten Halloween-Termin für den Brexit, hatte er seinen Abschied angekündigt. Doch die Neuwahl könnte auch seine Pläne ein wenig verzögern. Seine Nachfolge-Kandidaten sind noch nicht einig darüber, ob die Speaker-Wahl nun doch eher nach der Wahl stattfinden soll.

Mini-Kompromiss

An den Abgeordneten lag es letztlich noch, den Wahltermin zu bestimmen und die Fristen einzuhalten. Die Wahl ist innerhalb einer Frist von fünf Wochen abzuhalten, was einen kurzen, jedoch selten harten und aggressiven Wahlkampf in der Vorweihnachtszeit verheißt. Johnson hatte den 12. Dezember im Visier. Die Liberaldemokraten und die SNP plädierten für den 9. Dezember, damit auch die Studenten vor den Weihnachtsferien in den Unistädten an die Urnen gehen könnten. Labour schloss sich an. Schließlich stimmten die Abgeordneten im Unterhaus doch für den 12. Dezember. Tage später soll dann die Regierung stehen, und es bleiben noch sechs Wochen für den ultimativen Brexit-Termin – wenn nicht noch etwas dazwischenkommt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2019)

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