Die Studenten in Addis Abeba sind längst im Internet daheim. Im Rest des Landes sieht es noch anders aus.
Addis Abeba. „Ich bin richtig süchtig nach dem World Wide Web, ich kann einfach nicht ohne“, gesteht Melkerest Yegezu grinsend und wendet sich vom Bildschirm ab. Es fällt ihm schwer, die Finger von der Tastatur zu lassen. Melkerest arbeitet neben seinem Studium als IT-Assistent an der Universität von Addis Abeba. Seine Kollegin Tigest Mekonnen ist da weniger fanatisch – die Journalismusstudentin verwendet das Internet vor allem zur Recherche für Lehrveranstaltungen. Auch Arbeitsaufträge werden teilweise online erteilt. Und, ergänzt eine Kollegin, das Internet biete auch wertvolle Dienste bei der Suche nach Stipendien.
Doch nur wenige Studierende haben daheim Zugang zum Internet. Nach den Zahlen der International Telecommunication Union verzeichnete Äthiopien Mitte 2009 gerade einmal 360.000Internetnutzer – das sind 0,4Prozent der Bevölkerung (in Österreich sind es 72,3Prozent). Ungefähr 300Nutzer haben einen Breitbandanschluss. Wenig überraschend erfreuen sich die Computersäle der Uni größter Beliebtheit. Die Studierenden haben oft Mühe, einen freien Rechner zu finden, obwohl die Benützungszeit begrenzt ist.
Die Soziologiestudentin Helen Yohannes sieht eine andere Ursache für den Platzmangel: „Manche Studenten verschwenden wahnsinnig viel Zeit mit sinnlosen Webseiten. Es wäre schön, wenn die IT-Koordinatoren sich darum kümmern und der Platz jenen zur Verfügung stehen würde, die ihn für die Ausbildung verwenden.“
Auch technisch herrscht Platzmangel: Das Netz ist oft überlastet: „Mehr als 15.000Menschen nützen das System an der Universität, bis zu 10.000 gleichzeitig“, erklärt Systemmanager Bekuma Dekesa: „Unser Budget verhindert Expansion und besseres Service. Die Zugangskosten sind sehr hoch, wir verhandeln aber über ein vorteilhafteres Gebührensystem.“ Gewisse Erfolge gibt es dennoch: Die Netzwerkkapazität wird laufend gesteigert, das E-Mail-Account-Service soll bald allen Studenten zur Verfügung stehen, bisher ist es nur an bestimmten Fakultäten zugänglich.
Zensur von Uni und Regierung
Nicht begeistert sind viele Studenten von der Praxis der Uni, den Zugang zu bestimmten Seiten zu sperren: „Das ist gegen unser Recht auf Information“, meint Helen. Nicht immer sei die Auswahl nachvollziehbar, wie Melkerest kritisiert: „Manchmal werden Seiten gesperrt, die sehr hilfreich für akademische Zwecke wären, während bestimmte Pornoseiten frei zugänglich sind.“ Bekuma Dekesa rechtfertigt die Strategie: „Wir haben Youtube gesperrt, weil es die Studenten nur Zeit kostet und die Verbindung verlangsamt.“ Bei Facebook gab es einen Kompromiss: Es ist während der Arbeitszeit gesperrt, außerhalb frei zugänglich.
Auch die Regierung lässt seit Jahren gewisse Seiten sperren, um den Zugang zu als kritisch empfundenen Artikeln, Foren und Blogs zu verhindern – auch wenn meist „technische Probleme“ vorgeschoben werden. Die Internetnutzer finden jedoch in vielen Fällen Wege, um sich die Inhalte über andere Webseiten zu beschaffen.
Fernab des Campus ist die IT-Infrastruktur mangelhaft. Das Telefonnetz – Äthiopien steht hier in Afrika an zweitletzter Stelle – hat infolge des Anstiegs der Nutzung sein Kapazitätslimit erreicht. Etwa zehn Prozent des jährlichen Budgets investiert Äthiopien für Informations- und Kommunikationstechnologie. Der Ausbau der Infrastruktur schreitet aber nur langsam voran, was vor allem auf den großen Anteil ländlicher Regionen und das Monopol des staatlichen Anbieters ETC zurückgeführt wird. Die meisten Leute haben daheim keinen Zugang zum Internet und drei Viertel der Internetcafés befinden sich in der Hauptstadt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2010)