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Bewerbungsgespräch: Sieben Worte genügen

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Man will nach seinem Können beurteilt werden, nach seinem Werdegang, seiner Erfahrung. Nicht nach seiner Sprache. Genau das geschieht aber.

Recruiter können nichts dafür. Sie tun es nicht mit Absicht. Es ist ihnen nicht einmal bewusst. Und dennoch fällen sie ihr Urteil nach den ersten Worten eines Kandidaten. Nun ist die Macht des ersten Eindrucks keine bahnbrechend neue Erkenntnis. Auch Bewerber kennen sie: üben überzeugende Begrüßungsworte, den festen Händedruck, optimierte Selbstpräsentation. Es nützt ihnen nur wenig.

Nun belegt eine vergangene Woche in den Proceedings of the National Academy of Science erschienene Studie der Yale University, dass selbst harte Fakten neben einem denkbar weichen Eindruck verblassen: den Sprachmustern eines Kandidaten. Sieben zufällige Worte genügen, damit Recruiter eine für sie wichtigste Einschätzung vornehmen können. Nicht nach Sympathie/Antipathie, das haben sie gelernt auszublenden.

Vielmehr schließen sie aus dem Sprachmuster des Kandidaten auf dessen sozialen Status, definiert aus Einkommen, Ausbildung und beruflichem Rang, bei jüngeren Kandidaten auch aus dem Elternhaus. Genau daraus schließen Recruiter diretissima auf Kompetenz und Jobfitness.

Verräterische Sprache

Die Yale-Forscher führten fünf verschiedene Studien durch. In den ersten vier testeten sie ab, wie akkurat Menschen überhaupt auf den sozialen Status einer Person schließen können. Tatsächlich: Es genügen sieben Worte, um über alle Zufallstreffer hinaus richtig zu liegen.
Diesen Effekt wandten auch die Schöpfer von Computerstimmen wie Amazons Alexa an: Der höheren Akzeptanz wegen wurden ihr Stimmmuster einer höheren sozialen Schicht zugeordnet.

In einer fünften Studie testeten die Forscher die Auswirkung auf das Recruiting. Sie baten 20 Kandidaten für eine gehobene Einsteigerposition bei der Community von New Haven (wo die Yale University angesiedelt ist) zu einem Vorabinterview. Dort wurden sie gebeten, kurz sich selbst zu beschreiben. Diese 20 Statements wurden 274 erfahrenen Recruitern entweder akustisch vorgespielt oder in transkribierter Form zu lesen gegeben. Danach wurden die Recruiter um ihre Einschätzung bezüglich der fachlichen Eignung der Kandidaten ersucht, um ein „gerechtes“ Einstiegsgehalt samt Bonus und um die Zuordnung zu einer sozialen Schicht. Die Recruiter bekamen keine weiteren Infos, auch keine Lebensläufe.

Ergebnis: Jene Recruiter, welche die Audiointerviews hörten, ordneten die Kandidaten ihrer Schicht zu. Weit besser als jene, die nur die transkribierten Texte zu lesen bekommen hatten. Durch die Bank hielten die Recruiter auch jene Kandidaten für besser geeignet, denen sie höhere Schicht und höheren Status zugestanden. Für sie empfahlen sie auch höhere Einstiegsgehälter und attraktivere Boni als für jene mit niedrigerem Status.

Recruiting wird durch das intuitive Zuordnen von Schicht und Status stärker verzerrt als bisher angenommen, schlussfolgern nun die Forscher. Das möge man den Recruitern nahelegen. Und sie dezent darauf hinweisen, dass Talent nicht nur in reichen Familien zu finden ist.

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