Klanginstallation

Kunst für Schwindelfreie

Bei ihrem Projekt gilt Helmpflicht: Judith Unterpertinger (l.) und Katrin Hornek.
Bei ihrem Projekt gilt Helmpflicht: Judith Unterpertinger (l.) und Katrin Hornek.(c) Clemens Fabry
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Im Bauch der Brigittenauer Brücke zeigen Katrin Hornek und Judith Unterpertinger, wie sich die Menschheit in die Erdoberfläche einschreibt.

Wie hoch die gebogene Brigittenauer Brücke tatsächlich ist, kommt darauf an, von welchem Punkt man sie betrachtet. Etwas mehr als vier Meter sind es an einem, fast sieben an einem anderen. Wenn man im Brückenbauch steht und durch das Gitter unter sich die Donau fließen sieht, ist sie jedenfalls eines: verdammt hoch.

Einige Orte in Wien haben sich die bildende Künstlerin Katrin Hornek und die Komponistin Judith Unterpertinger angesehen, bevor sie sich für diesen Aufführungsort entschieden haben. „Die Orte sind für unsere Klanginstallationen sehr wichtig“, sagt Hornek. Am Samstag findet in der Brücke der zweite Teil der Trilogie „Modified Grounds“ im Rahmen des Wien Modern Festivals statt.

Das Projekt mit zehn Schlagwerkern widmet sich den geologischen Verschiebungen auf der Erdoberfläche. Der erste Teil fand in Amstetten bei Doka statt, die Firma ist eines der größten Schalungsunternehmen weltweit – „und damit auch einer der größten Formgeber der Erdoberfläche“, so Hornek. Die Brigittenauer Brücke sei nun aus zwei Gründen gut geeignet: „Ein Bein steht auf der Donauinsel, einem der größten Bauwerke Wiens. Und den Ort kann man körperlich spüren.“

Autodonnern und Flussrauschen

Wenn man im Brückenbauch steht, die Autos über einem donnern, der Fluss wenige Meter unter den Füßen rauscht, und die Schlagwerker dazu spielen, sei das jedenfalls eindrücklich. „Man wird sich seinem Körper richtig bewusst“, sagt Hornek. Die Besucher gehen 350 Meter durch die Brücke, in verschiedenen Abständen sind die Musiker positioniert. Am Anfang steht eine Sprechperformance, vor dem Ausgang wird noch ein Video projiziert. Auch der Weg zurück über die befahrene Brücke sei Teil der Performance. „So oft geht man ja nicht über Autobahnbrücken“, so die Künstlerin.

Hornek, die an der Akademie Kunst studierte, beschäftigt sich seit knapp zehn Jahren mit dem Thema. Ein konkretes Ereignis machte sie auf die Materialverschiebungen aufmerksam. Denn 2008 habe es einen Wendepunkt auf der Erde gegeben: Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sollen jährlich durch Bauarbeiten mehr Gestein oder Sand verschoben worden sein, als von natürlichen Vorgängen wie Erosionen. „Ich habe mich viel mit der Idee von Geologen, dass wir in ein neues Erdzeitalter eintreten müssen, beschäftigt“, erzählt Hornek. „Weil ein Teil der Mensch sehr viel zu unserem Klima und gegenwärtigen Prozessen beiträgt.“ Die Menschheit werde somit zu einem geologischen Faktor, der sich unumkehrbar in die Erde einschreibt.

„Ich wollte gerne eine abstrakte Form finden, um mich damit zu beschäftigen“, sagt Hornek. In Unterpertinger fand sie eine Partnerin für das Projekt, die sie schon durch eine vorherige Zusammenarbeit kannte. „Wir wollen eine Kooperation aus bildender Kunst und Musik schaffen“, sagt Unterpertinger. Am Anfang stand allerdings zuerst ein Berg an Daten und Plänen: Etwa der Schalungsplan des höchsten Gebäude der Welt, des Burj Khalifa, und historische Querschnitte von österreichischen Steinbrüchen. „Wir haben Material gesucht, das diese großen Massen abbildet.“ Die komplexen Daten zu interpretieren, sei nicht leicht gewesen. „Ich habe aber die HTL gemacht und während meiner Studienzeit in einem Labor gearbeitet, das hat geholfen“, erzählt Unterpertinger.

Für das Projekt ging es dann vor allem um eines: Übersetzungsarbeit. Unterpertinger: „Wie kann man ein gigantisches Thema so herunterbrechen, um es auch fassbar zu machen?“ Gemeinsam mit den Musikern interpretierte sie die Kurven und Zahlen aus den Unterlagen musikalisch. Der Mix sei spannend: Schlagzeuger aus der Rockmusik, klassische Schlagwerker und Musiker, die sich der Perkussion widmen, sind Teil des Projektes.

Helm und festes Schuhwerk

In die Brücke darf man sonst eigentlich nicht hinein – das macht Vorkehrungen notwendig. „Jeder Besucher muss einen Helm tragen“, sagt Hornek. „Außerdem gibt es eine eigene Sicherheitseinschulung.“ Festes Schuhwerk ist notwendig, damit man nicht etwa mit einem Absatz im Bodengitter stecken bleibt. „Aber das ist auch Teil des Projektes“, sagt Unterpertinger. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte sich der Höhe bewusst sein. Oder man macht es wie einer der Schlagwerker und stellt sich seiner Angst: „Der fühlt sich nämlich selbst nicht ganz wohl in der Höhe.“

ZU DEN PERSONEN

Katrin Hornek studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ihre Forschungsreisen führten sie unter anderem in die Mongolei und nach Nordamerika. 2017 erhielt sie das Staatsstipendium für bildende Kunst.

Judith Unterpertinger ist Komponistin, Pianistin und Performancekünstlerin. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das Verhältnis der Künste zueinander. 2015 erhielt sie das Staatsstipendium für Komposition. Das gemeinsame Projekt der beiden, „Modified Grounds“, ist Samstag im Rahmen des Festivals Wien Modern zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2019)

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