Koks-Taxis

Deutschland: „Haben Kokain so wie Pizza bestellt“

Drogenfahnder haben einen Anstieg so genannter „Koks-Taxis“ verzeichnet.
Drogenfahnder haben einen Anstieg so genannter „Koks-Taxis“ verzeichnet. APA/HELMUT FOHRINGER
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In Berlin wird Kokain per Lieferservice bis an die Haustür zugestellt. Drogenfahnder haben einen Anstieg so genannter „Koks-Taxis“ verzeichnet. Beizukommen ist dieser Art von Drogenhandel aber nur schwer.

Berlin/Wien. „Alex Obst & Gemüse Lieferservice“ steht auf der grellbunten Visitenkarte. Daneben ist ein hochgestreckter Daumen abgebildet, der Ware von Top-Qualität verspricht. „Als ich vor einem Club in Berlin die Karte bekam, kannte ich mich zuerst nicht aus“, erzählt ein Student der „Berliner Zeitung“. Doch schnell wird klar: Der 24-Stunden-Lieferservice in ganz Berlin stellt keine Bananen oder Ananas zu, sondern Kokain.

Unter dem Begriff „Kokain-Taxis“ hat sich in der deutschen Hauptstadt seit einiger Zeit ein neues Vertriebssystem für harte Drogen breit gemacht: Per Anruf oder SMS wird die Ware bestellt, der Dealer kommt bis an die Haustür oder im Club vorbei und bringt die angeforderte Menge an Drogen mit. Visitenkarten mit den entsprechenden Telefonnummern werden in Bars oder in den Party-Vierteln der Stadt auf der Straße verteilt.

„Wir können die Anzahl der Lieferservices gar nicht überblicken, wissen aber aus Ermittlungen, dass bei solchen Handynummern pro Tag Anrufe zur Bestellung von Betäubungsmitteln in dreistelliger Höhe auflaufen“, sagte Olaf Schremm vom Landeskriminalamt Berlin vor Kurzem in einem Interview mit dem TV-Sender rbb. Er leitet das Berliner Drogendezernat und kennt die Vertriebsstrukturen des Geschäfts. Ein ganzes Kommissariat arbeitet an den Recherchen zu den so genannten „Koks-Taxis“, 35 Ermittlungen sind zwischen Mai und Oktober dieses Jahres eingeleitet worden, so Schremm.

Kokain-Callcenter steuert das Geschäft

Drogendealer suchen nach immer neuen Wegen, ihren Stoff abzusetzen – das Bestellservice ist nun eine Variante. Die Dealer und Fahrer, die das Kokain direkt zu den Konsumenten bringen, sind nur das Ende einer Kette, zu der komplexe kriminelle Strukturen gehören. Kokain-Callcenter steuern die Lieferungen. Brauchen die „Zusteller“ Nachschub, kontaktieren sie Fahrer, die im Auto die ganze Nacht durch die Stadt cruisen und Kleindealer mit neuen Lieferungen versorgen. Die „Hauszusteller“ liefern meist innerhalb von 30 bis längstens 60 Minuten.

Im Mai waren zwei Männer in Berlin festgenommen worden, die zu so einem Bestellservice gehörten. In einem verdächtigen Auto waren ein Kilogramm Kokain sowie zwei Schreckschusswaffen. Und immer wieder werden Drogenfahnder auf Mitglieder der großen arabischen Clans aufmerksam, die seit einigen Jahren die organisierte Kriminalität in Berlin unter Kontrolle haben.

Kokain spiele seit zwei bis drei Jahren eine ganz maßgebliche Rolle in der Berliner Drogenszene, sagt Olaf Schremm von der Drogenfahndung. „Es gibt Anzeichen für eine Kokainepidemie“, sagt er. Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht gekommen: Untersuchungen der Abwässer deuten auf einen starken Anstieg von Kokain-Konsum hin. Nachgewiesene Kokain-Rückstände des Berliner Abwassers haben sich von 2014 auf 2018 fast verdoppelt. Zudem ist die Anzahl der Drogendelikte in der Hauptstadt von 2017 auf 2018 um 7,4 Prozent angestiegen. Bei den Kokainverstößen lag das Plus gar bei 17 Prozent. Auch die Zahl der Drogentoten hat in Berlin zugenommen: Im Jahr 2016 starben 21 Menschen nach dem Konsum von Kokain, 2018 waren es 35. 2019 hat es von Jahresanfang bis Ende Juli bereits 25 Kokain-Tote gegeben.

Außerdem weist die Drogenbeobachtungsstelle in ihrem Bericht auch darauf hin, dass europaweit das Angebot an Kokain qualitativ und quantitativ besser denn je sei. Der Reinheitsgrad ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. 2017 stellten Fahnder innerhalb der EU 140,4 Tonnen Kokain sicher, im Vergleich zu 70,9 Tonnen im Vorjahr. Dass Europa mit Kokain überschwemmt wird, geht laut den Experten des EU-Drogenberichts darauf zurück, dass die Koka-Anbaugebiete in Südamerika ausgeweitet wurden, aber auch die Vertriebsstrukturen in Europa eine Änderung erfahren haben wie eben via Lieferservices, sozialen Medien oder Darknet-Märkten. Im EU-Bericht ist von der „Uberisierung“ des Drogenmarkts die Rede.

„Gefühl, nichts Falsches zu machen“

„Das ist alles so ganz normal, als ob man Pizza bestellt hätte“, erzählt ein ehemaliger Drogenabhängiger dem Sender rbb. „Der Konsument hat das Gefühl, dass er nichts Falsches oder nichts Gesetzloses gemacht hat“, sagt der Unternehmer, der Kokain schnupfte, weil er seine körperliche Belastbarkeit steigern wollte. Bei Wohnungspartys, in Gesellschaft habe man sich Kokain bringen lassen.

Und das sei eines der großen Probleme, sagt der Berliner Chef-Drogenfahnder Schremm. Denn der eigentliche Handel mit dem Rauschgift finde „im privaten Bereich“ statt und sei daher „extrem schwer zu kontrollieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2019)

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