Straßen

Raus aus der Wüste

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New York, Trofaiach, Kopenhagen: Große und kleine Städte erklären ihre Straßen für bunt und lebenswert. Dank neuer Designideen und Werkzeugen wie „Tactical Urbanism".

Der Herbst tut den Straßen gut. Auch ästhetisch. Zumindest, wenn sie Alleen sind. Dann verfärben sich auch sie. Ihre Farbpigmente sind die bunten Blätter auf dem Boden. Ansonsten bewegen sich Straßen ja eher im Graubereich. Asphaltbedingt. Betonbedingt. Verordnungsbedingt. Selbst wenn sich auf ihrer Oberfläche die Räder drehen, in ihrer tieferen Logik schienen sie lang gefangen in einem anachronistischen Gestaltungsschema. Allmählich aber kommt da etwas ins Rollen: Auch neue Definitionen, was Straße ist und in Zukunft bedeuten kann. Für wen der öffentliche Raum eigentlich da ist und wie man ihn gerecht aufteilt. Unter E-Scootern und anderen Interessengruppen. Künstler sind gern die Ersten, die schubsen, damit sich was bewegt: In Berlin nutzte der Künstler Iepe Rubingh den viel befahrenen Rosenthalerplatz einmal als Leinwand. Die Farben haben Radfahrer aus Kübeln auf den Asphalt gekippt. Die Pinselstriche ausgeführt haben dann die Autos mit ihren Reifen, „Painting Reality" hieß das Projekt.

Manchmal greifen Stadtbewohner in streng öffentlicher Grätzelmission selbst in den Farb- oder Blumentopf – um traditionelle Grauzonen auf freundlich und lebenswert umzubürsten. Oder auch mal traditionelle Transit- auf neue Aufenthaltsräume. Manchmal wird den Straßen sogar eine neue Ästhetik verordnet – „Top-Down" heißt das dann im Urbanistik-Jargon – oder zumindest ein neuer Querschnitt verpasst, auf dem sich aktuelle Ansprüche und Interessenslagen besser abbilden. Wer selbst keine Ideen hat, blättert durch das „Handbook for an Urban Revolution", in dem die amerikanische Stadt- und Verkehrsplanerin Janette Sadik-Khan von ihren strategischen Manövern gemeinsam mit Bloomberg Associates berichtet: Es heißt „Streetfight". Auch die Umwandlung des New Yorker Times Square in eine Fußgängerzone gründet auf Sadik-Khans Initiative, genauso wie das Redesign von fast drei Kilometer Broadway.

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Sie berät auch Städte wie Mailand, das in den letzten Monaten auf einigen seiner Piazzas Autos gegen bunten Freiraum tauschte. „Wir haben unsere Bewohner ­auf­ge­fordert, uns zu helfen, den öffentlichen Raum umzu­ge­stalten. Mit den Methoden des ‚Tactical Urbanism‘. Das Projekt nennt sich ‚Piazze Aperte‘", berichtet Giulia Cusumano, eine Sprecherin der Stadtverwaltung ­Mailand.

Auch der Stadtplaner Mike Lyndon aus New York holt sich seine Instrumente für die urbane Umgestaltung aus dem Werkzeugkoffer des „Tactical Urbanism". Dabei geht es darum, permanente Transformation mit temporären Projekten anzustoßen, erklärt er. Und das scheint zu wirken. Ob in Asheville, Jersey City, Portsmouth oder Miami. Die Interventionen lösen das Urban Design von alten, anachronistischen Mustern. Die Projekte wachsen aus der lokalen Community heraus, grätschen direkt hinein in den Stadtalltag, die Benutzungskultur der Straßen und vor allem auch in die Wahrnehmung des eigenen Lebensraums. Das Ziel: Den Wunsch nach und den Willen zur Veränderung triggern. Lyndon kultiviert diesen Ansatz mit seinem Büro Streetplans schon länger: „Wir initiieren kostengünstige, temporäre Projekte mit den lokalen Akteuren als Katalysatoren für einen langfristigen Wandel."

Zurück auf die Wohnstraße. Man kann SUVs Zettel hinter den Scheibenwischer stecken, auf denen steht: „Dein Auto ist zu groß", wie in Berlin geschehen. Oder als Gehsteig-Guerilla Straßenflächen ganz neue Funktionen abtrotzen. Oder man stöbert in den Möglichkeiten, die schon vorhanden sind, aber noch kaum einer wahrgenommen hat: Wie die Kulturinitiative „Space and place" in Wien, die sich gemeinsam mit Anwohnern einige der Wiener Wohnstraßen als neuen Lebensraum erarbeitet hat: Da wurde gegessen, gesessen, gespielt. Und natürlich diskutiert. Überraschend wenig mit der Polizei, berichtet die Kuratorin des Projekts „Wien lebt", die Kultur- und Sozialanthropologin Barbara Vettori. Denn die Wohnstraße als Stadtraum lässt mehr Aktivitäten zu, als man dachte. Auch hier das Ziel: Von den Kurzzeit-Effekten soll etwas für später hängen bleiben. Vielleicht sogar gestalterisch. Zumindest in der Wohnstraße Markgraf-Rüdiger-Straße im 15.  Bezirk will die Künstlerin Julia Scharinger-Schöttel im nächsten Jahr Blumen auf dem Asphalt schweben lassen. Auch als ästhetische Andeutung an die Autofahrer, dass „sie in Wohnstraßen ja nur die Gäste sind", wie Vettori sagt.

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