Lokalkritik

Testessen im Calea

Eine Speisekarte zum Gähnen, Livemusik und viel Raumdeo: Wiens neuer Dinnerclub.

Den Boden hatte man inzwischen doch geschafft zu putzen, Bohrmaschinen liegen keine mehr herum, und auch die Mitarbeiter, die eigens zum Bewachen der noch nicht versperrbaren Toiletten abgestellt waren, durften regulären Schlössern Platz machen: Der neue Dinnerclub Calea im Hilton am Stadtpark ist einzuordnen in die Kategorie „Bis zur C-Promi-Eröffnung nicht ganz fertig geworden", zeigt sich nun aber doch mehr als Lokal denn als halbe Baustelle. Anfang Oktober wurde es anstelle des Birdland im Untergeschoß des Hotels eröffnet, nach dem Aus der Albertina Passage im August ist das Calea nun der einzige größere Dinnerclub Wiens. Vom beworbenen international Maßstäbe setzenden Luxusinterieur ist wenig zu spüren. Eine Wand wurde mit Moos gestaltet, das war es aber auch schon mit angeblichen Alleinstellungsmerkmalen. Dafür setzt man sämtliche Duftspenderhebel in Bewegung, um für die Nase ein „Urban Jungle"-Flair zu schaffen, allerdings dürfte dieser Geruch vergriffen, „Pfirsich-Vanille Luxury Line" dafür im Angebot gewesen sein. Mantel oder Jacke gibt man um zwei Euro ab und bekommt im Gegenzug, alles hat seine Ordnung, eine Umsatzsteuerrechnung über diesen Betrag ausgehändigt. Das Geschehen spielt sich auf zwei Ebenen ab, die untere Ebene des Atriums ist der „Dinner Floor" inklusive Bühne für die Live-Musik. „Schon laut, oder?", kommentiert der freundliche Kellner unseren Tisch neben der Bühne und wirft einen Blick Richtung Boxen, vielleicht meint er aber auch den Raumduft und schaut zum anonymen versteckten Spender.

(c) Christine Pichler

Für die Retro-Speisekarte ist Sebastian Müller zuständig, er war Küchenchef im nicht mehr existierenden Restaurant Art. Hier grüßt er anfangs mit einer gelungenen winzigen Pizzetta. Es gibt unvermeidlicherweise Beef Tatar und ein Vitello tonnato auf die ebenso zu erwartende Art „mal anders", zumindest solide gemacht – der Thunfisch kurz gebraten, gegartes Kalbfleisch in dünnen Scheiben dazu. Das Kürbischutney zum karamellisierten Ziegenkäse ist aufmerksam zubereitet und frisch abgeschmeckt. Weiters bietet man natürlich Steak, leicht übergarten, aber naturgemäß umamidichten Miso-Black-Cod samt säuerlndem Mischgemüse mit Pfirsich-Vanille-Luxury-Aroma (offenbar war der Hebel gerade wieder aktiv) sowie - das war klar - ein innen halbflüssiges Schokoding, fälschlich Soufflé genannt. Immer noch besser als die Schreibweise des zweiten Desserts: „Himbeer-Scorpino". Von einem echten Sgroppino unterscheidet sich das übersüßte Püree durch mehr als die paar Buchstaben.

Info

Calea, Am Stadtpark 1, 1010 Wien, reservierung@calea.club, Restaurant: Di–Do: 17–2, Fr–Sa: 17–6 Uhr.

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("Die Presse-Schaufenster", 19.07.2019)

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