EU-Gutachten

Drei Länder haben in der Migrationskrise EU-Recht gebrochen

Syrische Flüchtlinge im Jahr 2015 auf der griechischen Insel Kos.
Syrische Flüchtlinge im Jahr 2015 auf der griechischen Insel Kos.REUTERS
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Ein Gutachten attestiert Tschechien, Polen und Ungarn, sich nicht an die Flüchtlingsumverteilung aus dem Süden gehalten zu haben - trotz Mehrheitsbeschlusses der EU.

Es war mitten in der Flüchtlingskrise 2015, als die EU beschloss, 160.000 Asylwerber aus Italien und Griechenland in andere EU-Staaten zu verteilen. Der Beschluss war nicht einstimmig, aber eine Mehrheitsentscheidung. Doch nicht alle Länder hielten sich daran. Das war unrechtmäßig, wie ein EU-Gutachten am Donnerstag feststellte. Ungarn, Polen und Tschechien haben gegen EU-Recht verstoßen. Die drei Länder hätten sich nicht weigern dürfen, einen Beschluss zur Umverteilung syrischer und anderer Asylbewerber aus Griechenland und Italien umzusetzen, befand die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs, Eleanor Sharpston, am Donnerstag.

Die EU-Staaten hatten 2015 in zwei Mehrheitsentscheidungen eine Umverteilung beschlossen, um Italien und Griechenland zu entlasten. Tschechien, Ungarn und Polen weigerten sich allerdings, den Beschluss umzusetzen - obwohl der EuGH die Rechtmäßigkeit der Entscheidung in einem späteren Urteil bestätigte. Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft unter anderem die Einhaltung von EU-Recht überwacht, klagte gegen die Länder.

Einzelfälle dürften abgelehnt werden

Generalanwältin Sharpston erklärte nun in Luxemburg, die EU-Staaten könnten die Anwendung rechtsgültiger Maßnahmen der Union nicht unter Berufung auf ihre Zuständigkeiten im Bereich der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit ablehnen. Sie hätten zwar die Möglichkeit, im Einzelfall eine Aufnahme abzulehnen. Das Unionsrecht gestatte es aber nicht, Verpflichtungen kategorisch außer Acht zu lassen.

Sharpston erinnerte mit deutlichen Worten an die grundsätzlichen Verpflichtungen der EU-Staaten. Eine Missachtung der Pflichten, weil sie in einem konkreten Fall "unwillkommen oder unpopulär" seien, sei ein "gefährlicher erster Schritt hin zum Zusammenbruch einer der Rechtsstaatlichkeit verpflichteten geordneten und strukturierten Gesellschaft". Zudem sei mit dem Grundsatz der Solidarität "zwangsläufig die Bereitschaft verbunden, bisweilen Lasten zu teilen".

Die Richter am EuGH sind nicht an die Gutachten der Generalanwälte gebunden, folgen diesen aber in vielen Fällen. Ein Urteil des Gerichtshofs wird erst in einigen Wochen erwartet. Sollte dabei eine Vertragsverletzung festgestellt werden, müssen die Staaten dem Urteil unverzüglich folgen. Ist die EU-Kommission danach der Ansicht, dass die Länder dies nicht tun, kann sie erneut vor dem EuGH klagen und finanzielle Sanktionen beantragen.

Warten auf das Gerichtsurteil

Polen und Ungarn haben nach Zahlen der EU-Kommission keinen einzigen Asylbewerber im Rahmen der Beschlüsse von 2015 aufgenommen, Tschechien zwölf. Allerdings führte Polen im vergangenen Jahr die Liste jener EU-Staaten an, die den meisten Ausländern aus Drittstaaten den Aufenthalt in ihrem Land erlaubten. Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge erteilte Warschau 635 000 Aufenthaltstitel an Nicht-EU-Bürger - zum Großteil an Ukrainer.

Die polnische Regierung beharrt indes auch nach Veröffentlichung des Gutachtens auf ihrer Position. Diese sei durch den EU-Vertrag gedeckt, sagte ein Regierungssprecher laut Nachrichtenagentur PAP. Demnach hätten die EU-Staaten die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung. "Unsere Handlungen wurden bestimmt von den Interessen der polnischen Bürger und dem Schutz vor unkontrollierter Migration." Auch dank der harten Haltung Polens und der übrigen Visegrad-Staaten habe die EU ihren Umgang mit der Flüchtlingsfrage geändert und von der Umverteilung Abstand genommen.

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis äußerte sich nur vorsichtig. "In jedem Fall müssen wir das Urteil des Gerichts abwarten, das einzig und allein verbindlich ist", sagte der Gründer der populistischen Partei ANO der Agentur CTK zufolge. Tschechien "studiere und analysiere" derzeit das Gutachten der Generalanwältin.

Die Einschätzung der Gutachterin ist nicht bindend, häufig folgen die Richter ihr aber. Ein Urteil dürfte in den kommenden Monaten fallen. Dann könnte der EuGH Zwangsgelder gegen die drei Länder verhängen.

(APA/dpa/AFP)

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