Rugby

Entgegen allen Widerstände

Siya Kolisi vom Volksstamm der Xhosa trug Südafrikas Hoffnungen auf seinen Schultern.
Siya Kolisi vom Volksstamm der Xhosa trug Südafrikas Hoffnungen auf seinen Schultern.(c) REUTERS (Peter Cziborra)
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Rugby war in Südafrika das verhasste Symbol der Spaltung. Kapitän Siya Kolisi erzählt seine Geschichte.

Yokohama. Mit dem goldenen WM-Pokal im Arm war sich Siya Kolisi seiner Rolle als Südafrikas neuer Volksheld bewusst. „Unsere Kinder zu inspirieren, das ist alles, was ich will“, erklärte der Kapitän der neuen Rugbyweltmeister nach dem erstaunlichen 32:12-Finaltriumph in Yokohama gegen Favorit England. Der dritte Titel nach 1995 und 2007 soll der geschundenen Nation als Signal des Aufbruchs und der Versöhnung dienen, dafür ist Kolisi als erster schwarzer Spielführer in Südafrikas 128-jähriger Rugbyhistorie die Symbolfigur.

„Wir haben so viele Probleme. Unser Team kommt aus verschiedenen Lebenswelten und Rassen, vereint mit einem Ziel“, sagte der 28-jährige Kapitän tief ergriffen in der Stunde des Sieges, zu dem ihm auch Prinz Harry noch in der Kabine gratulierte. Mit Herz und Kraft hatten die Springboks den Engländern eine Abreibung verpasst.

„Ein Augenblick der Inspiration für alle Südafrikaner. Ein Moment, der ins nationale Gedächtnis eingeprägt sein wird“, schwärmte Präsident Cyril Ramaphosa. Der glückstrunkene Staatschef trug als Finalgast wie Kolisi das Trikot mit der Nummer sechs. Eine Geste mit großer Symbolwirkung.

Kein Essen, keine Schuhe

So war es auch 1995 gewesen, als Nelson Mandela ein Jahr nach dem Ende der Apartheid dem weißen Kapitän Francois Pienaar bei der Heim-WM die Webb-Ellis-Trophy in die Hand drückte. Es war ein Ausdruck der Aussöhnung und sollte für die erhoffte Vereinigung des zerrissenen Staates stehen.

Rugby, der Sport der weißen Kolonialherren, war einst das verhasste Symbol der Spaltung. Auch als die Springboks vor 24 Jahren in Johannesburg triumphierten, gab es in der Startelf mit Chester Williams nur einen schwarzen Spieler. Beim WM-Triumph 2007 waren es nur zwei, nun war es fast die Hälfte der Startformation.

Im Mittelpunkt: Siya Kolisi vom Volksstamm der Xhosa. Geboren in ärmlichen Verhältnissen zog ihn seine als Putzfrau arbeitende Oma groß. Ein Stapel Kissen war sein Bett, nicht jeden Tag gab es etwas zu essen. „Es ist einfach, über harte Zeiten und das Fehlen von Chancen zu reden. Aber es ist schwer, wenn du Zeiten erlebst, in denen du kein Essen hast, nicht zur Schule gehen kannst oder keine Schuhe hast“, meinte Südafrika-Coach Rassie Erasmus.

Kolisi spielte in Boxershorts, weil er keine Ausrüstung hatte. Mit zwölf Jahren wurde er von der exklusiven Privatschule Gray entdeckt und bekam ein Vollstipendium. „Ich habe nur an meine nächste Mahlzeit gedacht“, sagte Kolisi nun. So sei es noch immer für viele in Südafrika. „Wir brauchen nur eine Chance. Ich habe diese Chance mit beiden Händen ergriffen.“

25 Jahre nach dem Ende der Apartheid, wegen der Südafrika von der WM 1987 und 1991 ausgeschlossen war, ist das Land noch gespalten, die schwarze Mehrheit lebt oft noch in Armut. Der Alltag vieler ist geprägt von Gewalt und Rassismus, wie sie auch Kolisi und seine weiße Frau bereits erlebt haben.

Den Freudentag von Yokohama hatte Südafrika herbeigesehnt. „Wir hatten das Privileg, den Menschen Hoffnung zu geben“, sagte Trainer Erasmus, der nach dem WM-Titel sein Amt aufgibt. Der aufgewühlte Kolisi schwor: „Wir können alles erreichen, wenn wir als Einheit arbeiten.“ (DPA/Red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2019)

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