Fritz Panzers Drahtskulptur wirkt wie eine ­filigrane Zeichnung im Raum.
Gegenentwurf

Fragilitäten und Widerstände in der Kunst

Laut war gestern. Kunst kann auch anders. Es ist an der Zeit, wieder genau hinzuschauen.

Größer. Greller. Lauter. Schwerer. Sperriger. Massiger etc. Je mehr von all dem heute etwas ist oder hat, umso mehr vermag es sich zu behaupten und im Overkill von Sensationen, Verlockungen und Informationen Aufmerksamkeit zu heischen. Schnelle Aufnahme, rasches Erfassen – darauf versucht uns die Werbung mit ihren Mechanismen zu drillen. Die Kunst mit ihren Instrumentarien stellt hierzu einen Gegenentwurf dar. Zwar spielt auch sie bisweilen mit den Mechanismen der Konsumkultur. Oder eignet sie sich an, wie die Pop-Art der Sechzigerjahre oder später die Kunst der Neunzigerjahre mit Strategien der Appropriation und Kontextualisierung gezeigt haben.

Oder sie spielt genau nicht mit. Unterläuft. Verweigert sich. Denn die Mechanismen können auch umgedreht werden. Dann treten leise Töne auf den Plan, das Zerbrechliche, Zarte, Stille bekommen Raum. Manuel Gorkiewicz arbeitet in dem Feld. Für seine Installationen verwendet er Materialien wie dünnes Seidenpapier oder schillernde Folien, die er als Readymades in Form von Girlanden, Kaskaden, Wabenballons, Festons oder Glitzerstreifen im Karnevalsbedarf findet und auch, fast, widmungsgemäß einsetzt. Aktuell etwa hat er den Ausstellungsraum der Blickle-Sammlung im Dachgeschoß des Ankerhauses am Wiener Graben mittels einer Reihe abgehängter weißer Papiermarkisen in ein „Kabuff“ verwandelt. Beim kleinsten Luftzug verändern sie ihre Position und fangen an, miteinander zu kommunizieren. Zugleich geben sie eine Bühne für weitere Verwendung – etwa Video-Screenings während der Vienna Art Week, womit es zur Ausstellung in der Ausstellung kommt. Den Hebel setzt Manuel Gorkiewicz mit seiner Kunst an deren eigenem System an, nicht zuletzt an ihrer Eventorientiertheit. „Es geht um einen Umgang mit der Gegenwart ohne martialische Behauptungen“, sagt er. „Die Entscheidung, so zu arbeiten, wie ich es tue, kommt aber auch aus einer Affinität und aus der Entscheidung, einer Kunst der Selbstbehauptung wie beispielsweise der Stahlskulptur etwas entgegenzusetzen.“

Manuel Gorkiewicz’ ­Seidenpapier-Installation reagiert auf den zartesten Lufthauch.
Manuel Gorkiewicz’ ­Seidenpapier-Installation reagiert auf den zartesten Lufthauch.Anna Konrad, Manuel Gorkiewicz

Klaffende Leerstellen

So raumgreifend wie labil sind auch die Papierskulpturen und Raumcollagen von Anita Witek. Wie Bühnenbilder oder Paravents okkupieren und durchmessen sie Räume und simulieren immer wieder auch architektonische Elemente, Balken etwa oder Säulen. Produziert aus unterschiedlichen Materialien von Bütten bis zu bedrucktem Fotopapier und zusammengesetzt aus Bildschnipseln, reflektieren sie die Medialität der Gegenwart. Fotografie ist da ein Mittel, um Realität herzustellen. Allfälligen Gewissheiten und Zusammenhängen rückt die Künstlerin mit der Schere zu Leibe, auf dass klaffende Löcher die Leerstellen des Unterbewussten markieren. „Papier ist ein Material, das niemand ernst nimmt und in seiner Fragilität supertemporär wirkt. Es tut so als ob“, sagt Witek. „Es erfordert einen besonderen Umgang und braucht ein ganz spezielles Bewusstsein.“

Adriana Czernin arbeitet mit Papier als empfindlichem Träger meist großformatiger Zeichnungen. In wenigen, flächig aufgetragenen Farben gehalten, sind sie überzogen mit ornamentalen Labyrinthen und Strukturen, die sich bisweilen wie ein Käfig über eine Figur legen. Seit einigen Jahren arbeitet Czernin ausschließlich mit unendlich reproduzierbaren polygonalen Strukturen – ein Interesse, das aus der Beschäftigung mit der geome­trischen Ornamentik der islamischen Kunst resultiert. Die Zeichnungen zeigen Strukturen, die zugleich von Zusammenhalt und Kollaps handeln. „Fragilität äußert sich für mich immer in Bezug auf Stabilität“, sagt Adriana Czernin. „Kein System ist wirklich stabil, sondern Systeme sind immer dynamisch. Die Fragilität ist ihnen somit eingebaut, sodass es immer irgendwann zum Bruch oder zur Selbstzerstörung kommt.“ In dem Sinn zeigen ihre Zeichnungen und Bilder nicht zuletzt einen Antagonismus auf: „Ein Kampf gegen Stabilität als Gegenkraft zu einem System, das Bedrohlichkeit in sich trägt“, wie sie sagt.

Einen Vollmond entwickelte Anita Witek als Konzept für den Kunstraum Weikendorf.
Einen Vollmond entwickelte Anita Witek als Konzept für den Kunstraum Weikendorf.Anita Witek

Klorollen-Konstrukt

Mit den Mitteln der Zeichnung kontert auch Maria Bussmann vermeintlichen Stabilitäten. Ihre ziselierten Zeichnungen sind im Bereich von Figuration und Kommentar angesiedelt. Oft sind ihr Ausgangspunkt philosophische oder literarische Texte von Schopenhauer über Arendt bis zu Musil. Oder es tauchen eigene Texte in Form von Randnotizen oder Fußnoten auf. Oder Kreisel über mathematischen Formeln. Ihr Instrumentarium beschreibt sie so: „Zartheit, Dezentheit, Hintergründigkeit, Unauffälligkeit“ im Kontrast zum „Lautstarken, Penetranten“. In Miniaturskulpturen überträgt Bussmann die Prinzipien ihrer Zeichnung in die dritte Dimension. Da wird dann eine Kuhherde aus Klorollen konstruiert oder eine Thunfischdose zum Pool für einen Wellenreiter.

Der Bildhauer Fritz Panzer produziert seit 2002 feinste Skulpturen aus Draht, die in ihrer Linearität wie Striche im Raum daherkommen. Ohne die üblichen Methoden der Metallverarbeitung in Anspruch zu nehmen, biegt, knickt und wickelt er sie in Form. Sein Repertoire reicht von Masken, Lampen und Pianinos bis hin zu Rolltreppen, Einbauküchen und Lkw. Ausschlaggebend für die Beschränkung auf die Linie war die intensive zeichnerische Beschäftigung mit seiner eigenen Küche. „Aus diesem Ritual und dem Einverleiben des Objekts entstand die Idee der dreidimensionalen Zeichnung“, beschreibt er den Schritt.

Angelika Loderer arbeitet mit Materialien des Übergangs – hier Eis.
Angelika Loderer arbeitet mit Materialien des Übergangs – hier Eis. kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Die Skulptur ist auch Angelika Loderers ureigenstes Feld. Dabei arbeitet sie durchaus auch mit alten Methoden und traditionellen Werkstoffen. „Ich bin am Abarbeiten von Begriffen“, sagt sie, „daraus entsteht eine gewisse Formensprache.“ Ihr Interesse gilt dabei auch dem Prozesshaften und den Übergängen bei der Entstehung von Formen im Gegensatz zur Solidität der Bildhauerei. Loderer: „Mich interessiert, wie unterschiedliche Materialien aufeinander reagieren.“ So arbeitet sie bald mit Pilzsporen, die die Fotografien auffressen, bald mit Eisgebilden oder mit Schneebällen oder Maulwurfslöchern als Abguss- und Ausgangsformen für Messingskulpturen. „Es geht um die Poesie von Materialien und ihre Gegensätze – so wie im Leben auch.“

Tipps

„The Other is Onself“ mit Adriana Czernin u. a.,
5. 11.–20. 12. www.theotherisoneself.org

„Video Kabuff“, Manuel Gorkiewicz (Installation), 19. 11.–19. 12. www.blickle-raum-spiegelgasse.at

„Fritz Panzer: Das Doppel­lebben der Gegenstände“ 9. 11.–19. 1. 2020., www.kunsthausnexus.com

„Das stille Vergnügen – Die Sammlung Justus Schmidt“ mit einer Intervention von Maria Bussmann u. a. Bis 5. 1. 2020, www.nordico.at

("Die Presse - Kulturmagazin", Print-Ausgabe, 18.10.2019)

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