Archivbild: Eine Frau in einem Prager Park
Studie

Die Desillusion­ierung Osteuropas 30 Jahre nach dem Mauerfall

Der einstigen Freude über Meinungsfreiheit, Demokratie und Marktwirtschaft ist tiefe Skepsis über das Funktionieren des „neuen Systems“ gewichen.

Berlin. „Der Nachteil der Demokratie ist, dass sie denjenigen, die es ehrlich mit ihr meinen, die Hände bindet. Aber denen, die es nicht ehrlich meinen, ermöglicht sie fast alles.“ Der ehemalige Regimegegner und spätere tschechische Präsident Václav Havel war ein Verfechter des Systemwechsels in Osteuropa. Aber auch er musste erkennen, dass sich nach dieser Wende nicht automatisch alles zum Besseren kehrt. Vieles musste weiter erkämpft oder mit großem Aufwand bewahrt werden. Diese Desillusionierung hat mittlerweile eine breite Gesellschaft Osteuropas erreicht. Das belegt eine neue Studie der Open Society Foundation. Darin werden die mit dem Zusammenbruch des Kommunismus vor 30 Jahren verbundenen Hoffnungen einem aktuellen Stimmungstest unterzogen. Eine Übersicht:

1 Der Freude über Demokratie ist Angst vor einem neuem Autoritarismus gefolgt

93,4 Prozent der DDR-Bürger hatten sich 1990 an der ersten freien Wahl in ihrem Land beteiligt. In allen ehemaligen Ostblockstaaten wurde die Demokratie als zentrale Errungenschaft der Wende empfunden. Doch mittlerweile fürchtet wieder eine Mehrheit eine Rückentwicklung zum Autoritarismus. 61 Prozent der Slowaken, 58 Prozent der Ungarn und Rumänien, 56 Prozent der Bulgaren sehen laut der vom britischen Meinungsforschungsinstitut You Gov durchgeführten Umfrage die Demokratie bedroht. Auch in Deutschland, das durch den Mauerfall ebenfalls vom Systemwechsel betroffen war, sind 52 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Gefragt, ob das vor 30 Jahren eingeführte Rechtsstaatssytem mit unabhängigen Gerichten, einer Machtbalance zwischen Legislative und Exekutive funktioniere, beantworteten die Osteuropäer noch negativer: 74 Prozent in Bulgarien, 70 Prozent in der Slowakei und 68 Prozent in Rumänien sehen die Rechtsstaatlichkeit bedroht. Polen (64%) und Ungarn (59%), gegen die ein EU-Verfahren wegen Unterwanderung des Rechtsstaats läuft, schneiden nur geringfügig besser ab.

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