Allerorten Doppelgänger

Gerry Adams.
Gerry Adams. (c) REUTERS (Clodagh Kilcoyne)
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Es war an einem sonnigen Junitag vor 17 Jahren, als sich auf dem Bahnhof von Feldkirch meine Wege mit jenen von Gerry Adams kreuzten.

Es war an einem sonnigen Junitag vor 17 Jahren, als sich auf dem Bahnhof von Feldkirch meine Wege mit jenen von Gerry Adams kreuzten, dem damaligen Präsidenten der irischen Partei Sinn Féin. Zumindest bin ich mir ziemlich sicher, dass der bebrillte Herr auf dem Bahnsteig mit dem grau melierten Bart und der Reisetasche über der Schulter Gerry Adams war. Und eigentlich ist es beinahe denkunmöglich, dass es jemand anderer gewesen wäre. Denn gewiss, so zimmerte ich mir noch Jahre später ein Alibi der verhinderten Verwechslung zusammen, wollte der irische Nationalist Adams genau jene Stelle inspizieren, die bekanntlich den größten irischen Schriftsteller zu seinem Schlüsselwerk inspiriert hat. „Dort drüben, auf den Schienen, entschied sich 1915 das Schicksal des ,Ulysses‘“, soll Joyce 1932 während eines längeren Feldkirch-Aufenthalts zu seinem Freund Eugene Jolas gesagt haben. Er bezog sich auf seine nur knapp abgewendete Verhaftung als feindlicher Spion während des Weltkriegs.

Oder war es doch nur ein Doppelgänger Adams'? Who knows, wie sie in Feldkirch zu sagen pflegen. Dass ich aber Radovan Karadžić samt Entourage im Jahr 1995 oder 1996 im Wiener Café Schwarzenberg erblickte, lasse ich mir nicht von der sogenannten Faktenlage ausreden, wonach der heuer wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft Verurteilte damals alle Hände voll damit zu tun hatte, seine Republika Srpska an einem Friedensschluss zu hindern, folglich also wohl keine Muße gehabt haben konnte, mit seinen Kompagnons im Schwarzenberg zu tafeln.

Doppelgänger allerorten; und nicht nur jene historischer Bekanntheiten. Ich konnte mich zum Beispiel bereits zwei Mal nur knapp davon abhalten, beim Abholen meiner Tochter aus der Vorschule freudig auf ein wildfremdes Mädchen zuzulaufen. Die fremde Kleine sah, mitten im Gewimmel des Schulhofes, meiner Kleinen täuschend ähnlich. Man möchte sich gar nicht ausmalen, welche grotesken und hoch peinlichen Folgen so eine Verwechslung nach sich zöge: James Joyce hätte darüber gewiss trefflich zu schreiben gewusst.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2019)

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