Quergeschrieben

Die Kampagne gegen Manspreading ist nicht sexistisch

Wer die neue Kampagne der Wiener Linien überflüssig findet, könnte einen Tag lang beobachten, wie sich Frauen und Männer im öffentlichen Raum verhalten.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

Österreich ist nicht mehr lang das, was es einmal war. Fünfzehn Jahre nach dem ersten Gastro-Rauchverbot in der EU dürfen wir seit vergangener Woche in Wirtshäusern und Bars nicht mehr rauchen. Und seit Montag machen die Wiener Linien darauf aufmerksam, dass „Manspreading“, also das breitbeinige Sitzen vor allem in engen Öffis, unangenehm ist. „Sei ein Ehrenmann und halte deine Beine zamm“ steht auf den online verbreiteten Flyern. Die Unehrenmänner gleichen Balletttänzern, die gerade für einen Spagat trainieren, und nicht dem typischen „Manspreader“, der nur die Oberschenkel spreizt. Aufregen tun sie trotzdem. Zu Recht?

Drei Argumente fallen häufig: Erstens, Männer müssten nun einmal breitbeinig dasitzen, da sie sonst ihre Hoden einquetschten. Bei den Folgen wird alles zwischen „kaum zu spüren“ und „folterähnlich“ genannt. Wissenschaftlich behandelt wurde die Problemstellung mehrfach; bei eindeutigen Ergebnissen lässt uns die Forschung allerdings hängen. Es kommt auf Sitzposition und Körperbau an, sagen Sportärzte, und niemand muss plötzliche Unfruchtbarkeit fürchten, weil er beim U-Bahn-Fahren die Beine zusammenzwickt.

Zweitens heißt es oft, eine solche Kampagne sei sexistisch und diskriminierend: Dann sollten doch bitteschön auch Frauen aufgefordert werden, ihre Handtaschen nicht auf dem Nebensitz zu platzieren. Die passende englische Wortkonstruktion dazu gibt es auch schon: „Pursespreading“ oder „Shebagging“. Natürlich geht es beim Manspreading auch ganz allgemein um Respekt im öffentlichen Raum. Die Kampagne stammt aus New York, im Jänner 2015 klebten erstmals „Dude, Stop the Spread“-Plakate in den U-Bahnen. Sie waren Teil einer Serie von Piktogrammen, die verschiedene Verhaltensregeln einforderten, darunter auch, in vollen Zügen oder Bussen keine Taschen auf den Sitzen zu lagern. Dazu kommt: In vielen New Yorker U-Bahnen gibt es lange Bänke ohne Sitzunterteilungen. Wer wie viel Platz einnimmt, ist also Verhandlungssache.

Doch bei der Manspreading-Kampagne geht es um mehr als nur Respekt: In unserer Gesellschaft sind es immer noch Männer, die mehr öffentlichen Raum einnehmen. Auch das ist wissenschaftlich belegt. Männer sind oft größer und breiter; und sie haben vielfach gelernt, sich selbstbewusster zu bewegen als Frauen. Sie haben die wichtigeren Positionen, sind häufiger Chefs, und Chefs gehen anders als ihre Assistentinnen und Assistenten. Deshalb ist es auch nicht sexistisch, Männer gesondert darauf aufmerksam zu machen, wie sie sich im öffentlichen Raum zu verhalten haben. Es sind über Jahrhunderte weitergegebene Verhaltensmuster, die nun hinterfragt werden. Das regt auf, und das ist gut so.

Und schließlich Argument drei: Achtzehn Frauenmorde in diesem Jahr, davon ein Großteil Beziehungstaten. Aufgrund des Gender Pay Gaps arbeiten Frauen in Österreich seit 21. Oktober bis Jahresende – statistisch gesehen – im Verhältnis zu Männern umsonst. Sollten wir uns nicht lieber darum kümmern? Wer Gleichberechtigung will, möge sich doch nicht mit Oberflächlichkeiten wie der männlichen Sitzposition abgeben!

Klar, aber das eine schließt das andere nicht aus. Die persönliche und die politische Ebene ergänzen einander nämlich fabelhaft. Es ist ein bisschen wie beim Klimaschutz: Natürlich reicht es nicht, wenn Sie und ich auf Plastiksackerln verzichten, um die Erde zu retten. Aber wenn unsere Nachbarn unserem Beispiel folgen, und dann deren Nachbarn, und so weiter, wird bald eine kritische Masse auf Plastiksackerln verzichten – und die Politik reagieren. Genauso kann Gleichberechtigung im täglichen Leben starten. Sollte es Ihnen als Mann anatomisch unmöglich sein, im vollen Bus die Beine zusammenzuzwicken, hier ein Kompromiss: Beobachten Sie einen Tag lang, wie sich Frauen und Männer im öffentlichen Raum verhalten. Vielleicht fällt Ihnen etwas auf.

Intern

Liebe Leserinnen und Leser!

Als Sibylle Hamann uns im Sommer nach 14 Jahren als Kolumnistin in Richtung Grüne und Parlament verließ, kam das für uns überraschend. Nach etwas mehr als einer Schrecksekunde steht nun ihre Nachfolgerin fest: Die freie Journalistin Anna Goldenberg wird ab sofort jeden Donnerstag auf der Debattenseite schreiben, Karl-Peter Schwarz übernimmt den Mittwochplatz. Danke dafür!
Goldenberg hat in Cambridge Psychologie und in New York Journalismus studiert, ist ihre ersten journalistischen Schritte im Chronikressort der „Presse“ gegangen und schreibt heute für den „Falter“ und die deutsche „TAZ“. In ihrem Buch „Versteckte Jahre“ erzählte sie 2018 die Geschichte ihrer jüdischen Großeltern, die den Holocaust überlebt hatten.
Wir freuen uns auf Goldenbergs Blickwinkel.

Hochachtungsvoll, Ihr

Rainer Nowak

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2019)

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