Kritik

„Midway“: Wackere Cowboys im Pazifikkrieg

Viele Figuren, keine Charaktere: Roland Emmerichs neues Kriegsspektakel „Midway“.
Viele Figuren, keine Charaktere: Roland Emmerichs neues Kriegsspektakel „Midway“.Constantin
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Der deutsche Regisseur Roland Emmerich huldigt einmal mehr dem mythischen Selbstbild der USA: In „Midway“ inszeniert er es mit viel Schlachtengetöse, aber wenig überzeugenden Charakteren.

Kein anderer Regisseur, schon gar kein US-Regisseur, kann Americana so wie Roland Emmerich (zum „Presse“-Interview). Die Filme des schwäbischen Krachmachers gehen vor dem mythischen Selbstbild der USA regelmäßig auf die Knie, lassen Präsidenten Brandreden gegen Invasoren halten („Independence Day“, 1996) oder sie gleich selbst mit fetter Wumme in den Kampf gegen Terroristen im Weißen Haus ziehen („White House Down“, 2013). Immer integriert in die simplen Narrative ist der „Average Joe“, ein Durchschnittskerl, der kraft des von ihm verinnerlichten amerikanischen Wertekanons, entsprechend angeleitet von Heldenmut und Gerechtigkeitssinn, gegen übergroße Gegner antritt.

Die Hauptfigur in Emmerichs Kriegsspektakel „Midway“ wird von seinen Navy-Kameraden nicht zufällig als Cowboy bezeichnet: Dick Best (feist: Ed Skrein) ist gefürchteter Sturzbomber-Pilot, redet frei nach Schnauze und neigt zu hochriskanten Manövern, die seinen Bordschützen erblassen lassen. Er wird bei der Schlacht um Midway (Juni 1942), die einen Wendepunkt im Pazifikkrieg zwischen Japan und den USA markiert, eine entscheidende Rolle spielen. Bevor es allerdings so weit kommt, setzt Emmerich wie in den meisten anderen seiner Filme auf Eskalationsdramaturgie, die den Boden bereiten soll für den großen Wumms, der unweigerlich folgt.

Der verheerende Angriff der Japaner auf Pearl Harbor im Dezember 1941 zeigt bereits eingangs, aus welchem Holz „Midway“ geschnitzt ist: Gewaltige Panoramabilder fassen das ganze Ausmaß des Geschehens, bevor es auf menschelnde Kleinteile heruntergebrochen wird und die Soldaten im Flammenmeer verbrennen. Nächster Halt ist der sogenannte Doolittle Raid im April 1942, ein Überraschungsluftangriff auf Tokio, nach dem die Piloten aufgrund von Treibstoffmangel im von Japan besetzten China landen mussten und dort Hilfe von der Zivilbevölkerung erhielten. Es steht zu vermuten, dass Emmerich diese Nebenhandlung nicht zuletzt deshalb integriert hat, weil auch einiges chinesisches Geld in die Produktion von „Midway“ geflossen ist. Überhaupt hatte er überraschend viele Probleme bei der Finanzierung seines Kriegsfilms, der von keinem der großen US-Studios mitgetragen, sondern unabhängig produziert wurde und, so grotesk es klingt, damit einer der teuersten US-Indiefilme aller Zeiten ist.

Das erklärt auch, weshalb viele der Computer-Trickeffekte, zumindest für Emmerich-Verhältnisse, unpoliert wirken, was besonders bei den großen Kampfpanoramen mit ihren vielen Flugzeugen, Schiffen, Bomben, Bränden und ja, schon auch Menschen sichtbar wird. Verwirrung setzt beim Zuschauer ein, die Wimmelbilderfolge ermüdet aber auch aufgrund des überfrachteten, unfokussierten Drehbuchs: Wer nicht schon davor eine Ahnung hatte von den komplexen kriegstaktischen Manövern hinter den Schlachtkulissen und ein gewisses militärisches Grundwissen mitbringt, wird „Midway“ als eine gefühlt endlose Parade von irgendwelchen Fliegern und Schiffen erleben, die sich gegenseitig in die Luft jagen.

In so einem Fall wäre es dann jedenfalls von Vorteil, Figuren kämpfen und sterben zu sehen, zu denen man eine emotionale Bindung aufbauen kann. Aber auch hier Fehlanzeige: Schauspielgrößen wie Dennis Quaid, Woody Harrelson oder Tadanobu Asano sind bloße Schmuckleiste in einem Film mit vielen Figuren, aber ohne Charaktere – und das, obwohl so gut wie alle auf historischen Vorbildern beruhen.

Kurzauftritt von John Ford

Neben dem launigen Ed Skrein, dessen Dick Best allerdings auch keine Entwicklungskurve vergönnt ist, sind die Dutzenden Nebenrollen mit schwer voneinander unterscheidbaren, feschen jungen Männern (darunter Nick Jonas und Darren Criss) besetzt, die in ein, zwei Dialogen wenig Profundes sagen, bevor sie vom Himmel fallen, ertrinken, verbrennen oder ohne Erklärung von der Bildfläche verschwinden. Bezeichnenderweise ist es ein Kurzauftritt von Hollywood-Regielegende John Ford (gespielt von Geoffrey Blake), der am meisten hängenbleibt: Dieser drehte tatsächlich vor Ort, um authentische Kriegsbilder zu erhalten – zu sehen in seinem Propagandastück „Schlacht um Midway“ – und ist in Emmerichs Film aufgeregt wie ein Kind, als die ersten Bomben fallen.

Dass „Midway“ trotz alledem halbwegs funktioniert, liegt an Emmerichs ungnädiger Spektakelwut und seiner Liebe zum gut abgehangenen Unterhaltungskino. Zum Schluss noch eine aufrichtige Bitte: Lasst Harald Kloser keine Filmmusiken mehr komponieren! Nur weil die Augen schmerzen, müssen nicht auch die Ohren bluten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2019)

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