Oberhalb des Gesäßes trägt jeder Zvončari (sprich: Swonschari) eine riesige Kuhglocke, die bis zu sechs Kilo wiegt. Die Männer tragen selbst hergestellte Masken.
Kroatien

Fasching in der Kvarner Bucht

Im Hinterland der Kvarner Bucht hat mit den Halubajski Zvončari eine archaische Karnevalstradition die Jahrhunderte überdauert, die so außergewöhnlich ist, dass sie ins immaterielle Kulturerbe der Unesco aufgenommen wurde.

Lautlos tanzen dicke, fluffige Schneeflocken durch die Gassen von Marelji, einem kleinen Bergdorf im Hinterland der Kvarner Bucht. Es schneit so heftig, dass Straßen und Hausdächer, Wiesen und Felder innerhalb kürzester Zeit von einer dünnen Schneeschicht überzogen sind.

Dalibor Marčelja zieht das Schafsfell um seine Schultern enger zusammen. Wie alle Männer, die sich an diesem Morgen auf dem Dorfplatz versammeln, trägt auch der 46-Jährige nur ein dünnes blau-weiß gestreiftes T-Shirt unter dem Fell sowie eine ebenfalls dünne weiße Hose und ein rotes Halstuch. Ein bisschen wenig bei diesem Wetter. Aber Schnee in der fünften Jahreszeit? „Wann hat es das zuletzt gegeben?“, fragt Dalibor sein Gegenüber. Es muss Jahrzehnte her sein, denn keiner der Männer kann sich erinnern.

Sechs-Kilo-Kuhglocken

Dalibor und die anderen Männer sind Halubajski Zvončari. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das „Glockenträger aus Halubje“. Woher der Name kommt, ist weder zu übersehen noch zu überhören. Oberhalb des Gesäßes trägt jeder Zvončari (sprich: Swonschari) eine riesige Kuhglocke. „Fünf bis sechs Kilo wiegt die“, sagt Dalibor nicht ohne Stolz. Mit einem groben Seil werden die Glocken oberhalb der Hüfte verzurrt. Gekrönt wird das Kostüm jedes Mannes von einer Maske, die jeder Zvončari in Handarbeit fertigt. Wie der Kopf eines Stiers oder einer Kuh sehen die meisten dieser Masken aus. Bisweilen aber auch wie eine Ziege, ein Widder oder ein Bär.

In der Hand halten die Glockenträger eine Art Streitkolben: knorrige Holzstäbe oder geschnitzte Keulen, die, mit Felldekor geschmückt, teilweise selbst aussehen wie ein Miniatur-Zvončari. Während des Karnevals ziehen die Männer in dieser Verkleidung auf uralten Routen von Dorf zu Dorf, wo sie mit ihren Glocken ein ohrenbetäubendes Spektakel veranstalten. Eine gewisse Ähnlichkeit mit den Perchten, aber auch mit den Schauergestalten der schwäbisch-alemannischen Fasnacht ist nicht abzustreiten.

Und doch sind die Zvončari mit ihren Glocken und den Tiermasken so außergewöhnlich, dass sie 2009 in das immaterielle Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen wurden. Im Vergleich mit anderen Faschingstraditionen – wie dem Karneval in Venedig oder den fröhlichen Umzügen am Rhein – fristen die wilden Zvončari jedoch ein Schattendasein. „Außerhalb der Region ist unser Brauch kaum bekannt, und das, obwohl er so alt ist“, bedauert Marina Jurić, die Direktorin des Fremdenverkehrsamtes in Viškovo.

30-Kilometer-Märsche

Zusammen mit weiteren Mitstreitern setzt sie sich seit Jahren dafür ein, dass die Zvončari über die Grenzen des Landes hinaus mehr Aufmerksamkeit finden. „Jeder Gast, der mag, kann unsere Glockenträger auf einem Teil oder auch auf der ganzen Strecke begleiten“, wirbt sie – eine entsprechende Kondition vorausgesetzt. Denn die Märsche sind anstrengend und pro Tag zwischen 20 und 30 Kilometer lang. In der Halubje-Region statten die Glockenträger insgesamt 56 Dörfern einen Besuch ab, bis zu 20 Dörfer an einem Tag. Einen Rucksack mit Wegzehrung brauchen sie nicht – in jedem Dorf erwartet die Marschierer ein Buffet mit regionalen Spezialitäten und Getränken, Gastfreundschaft wird hier großgeschrieben. Wer mit den Zvončari marschiert, isst und trinkt mit.

Dalibor ist es unterdessen auch ohne Schnaps gut warm geworden. Er und ein paar andere Männer haben sich mit dem Nachwuchs eine wilde Schneeballschlacht geliefert. Die jüngsten Teilnehmer sind gerade einmal sechs Jahre alt. Auch Dalibor ist das erste Mal mit sechs Jahren mitgelaufen. 1979 war das, und er wird es nie vergessen, denn es war ein großer Tag in seinem Leben: „Zvončari zu sein ist eine Ehre“, sagt er.

Wegen des Wintereinbruchs haben sich einige Teilnehmer verspätet. Doch nun ist die Gruppe komplett. Rund 120 kleine Buben, Jugendliche und Männer haben sich eingefunden. Der Marsch beginnt. Rhythmisch schlagen die Glocken bei jedem Schritt gegen die Hintern der Zvončari. Kleine Glocken auf kleine Pos, große Glocken auf große Hinterbacken. Der Lärm wird sie von nun an auf ihrem Weg durch das Unterholz, durch Olivenhaine, Hohlwege und über die verschneiten Weideflächen begleiten. Was heute nur im Karneval zelebriert wird, war früher eine alltägliche Notwendigkeit. „Hier im Hinterland lebten vor allem Hirten mit ihrem Vieh. Und die trugen stets eine Glocke mit sich, um die Wölfe zu vertreiben“, erklärt Dalibor.

Der Legende nach geht der Brauch aber auf eine Zeit zurück, als Türken und Tataren auf ihren Eroberungszügen auch in die Bergregionen am Kvarner einfielen. „Waffen hatten die Hirten nicht, also blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich in Schafsfelle einzuhüllen, sich Glocken umzuhängen, sich schreckliche Masken aufzusetzen und mit den Knüppeln in der Hand die Türken und die Tataren zu erschrecken. Und die rannten wie die Hasen“, sagt Dalibor grinsend, als wäre er selbst dabei gewesen.

Nach mehr als zwei Stunden erreicht die Gruppe den Ortsrand des mittelalterlichen Kastav. Der Ort liegt auf einem Hügel oberhalb von Opatija. Von den meisten Plätzen aus hat man einen herrlichen Blick auf das Učka-Gebirge und auf das Meer. Für schöne Aussichten haben die Zvončari jetzt aber keine Muße. Gleich kommt ihr großer Auftritt.

Angeleitet von einer Art Zeremonienmeister, der eine weiße Uniform trägt, nehmen die Männer Aufstellung. Beim Laufen schwingen sie nun ihre Hüften rhythmisch nach vorn und nach hinten, sodass jede einzelne Glocke nun lauter ist als jemals zuvor – (k)ein Schelm, der dabei an Kopulieren denkt. Denn anders als bei den Perchten auf der Alpennordseite sehen die Zvončari ihre Aufgabe nicht nur darin, die Geister des Winters zu vertreiben, sondern auch durch Fruchtbarkeitsrituale den Frühling buchstäblich herbeizuläuten.

Fritule und Kobasica

Während des ganzen Festzugs halten die Zvončari ihre Formation ein. Wenn sie das Dorfzentrum erreicht haben, bilden sie konzentrische Kreise. Irgendwann stehen sie glocken- und keulenschwingend Rücken an Rücken im Kreis und produzieren mit kraftvollen Hüftschwüngen ein so ohrenbetäubendes Geläute, dass man geneigt ist, sich die Ohren zuzuhalten. Auf einen Wink des Zeremonienmeisters hin endet das Getöse, die Männer nehmen die Masken ab, begrüßen Freunde und Verwandte und strömen auf das Buffet zu, das die Frauen von Kastav vorbereitet haben. Zu den Leckereien gehören zum Beispiel Fritule, das Äquivalent zu den deutschen und österreichischen Faschingskrapfen, sowie Presnac – ein köstlicher Kuchen aus Mehl, Reis, Äpfeln, Milch und Zimt – oder Kobasica, eine Wurstspezialität aus der Region. Dazu gibt es Bier, Wein oder Schnaps sowie Bambus, ein in der Region beliebtes Mischgetränk aus Rotwein und Cola.

Während die Männer weiterziehen zum nächsten Dorf, zu ihrem nächsten großen Empfang, kehrt in Kastav wieder Ruhe ein. Eine Ruhe, die fast unheimlich ist, wenn man das Gebimmel stundenlang im Ohr hatte. Einige Zaungäste haben sich in eine der vielen gemütlichen Konobas zurückgezogen. Andere sind nach Hause gegangen – um den Ohren und den Nerven eine Ruhepause zu gönnen und Kräfte zu sammeln für den finalen Auftritt ihrer Zvončari.

Am Abend werden die Männer bei Einbruch der Dunkelheit in Viškovo erwartet, wo in der Ortsmitte unter lautem Glockengeläute einer Strohpuppe namens Pust mit Spiritus und Streichholz der Garaus gemacht wird. Dalibor steht ganz vorn in der ersten Reihe, als Pust sich in Asche auflöst. Die Maske und das Schafsfell hat er abgenommen und streckt die Arme, in einer Hand den Streitkolben, in den schwarzen Himmel, wo die Funken des Strohfeuers mit den Schneeflocken verschmelzen. Kalt ist es Dalibor jetzt garantiert nicht mehr.

Tipps

Übernachten. Designhotel Navis, Ivana Matetića Ronjgova 10, Opatija (hotel-navis.hr). Klein, aber fein: Boutique Hotel Kukuriku, Trg Lokvina 3, in Kastav kukuriku.hr

Höhepunkte des Karnevals 2020
16. Februar:
Das Seifenkistenrennen Balinjerada in Opatija. Dabei rasen die Teilnehmer mit selbst gebastelten Fahrzeugen, die auf Kugellagern (Balinjere genannt, daher der Name) statt Rädern fahren, die Hauptstraße hinunter. visitopatija.com/de/karneval.

24. Februar: Internationale Karnevalsparade in Rijeka. Auch die Zvončari nehmen teil. rijecki-karneval.hr

23.–26. Februar: Marsch der Glockenträger im Hinterland, wer mitlaufen will, meldet sich am besten bei Marina Jurić (spricht Deutsch) unter tz-viskovo.hr

25./26. Februar: In Kastav, in Mošćenička Draga und in Rijeka wird am Aschermittwoch die Strohpuppe Pust angeklagt, verurteilt und verbrannt.

Allgemeine Informationen
kvarner.hr, tz-viskovo.hr

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde vom Fremdenverkehrsamt Kvarner unterstützt.

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