Rainer Will ist Chef des Handelsverbands. Die Digitalisierung sei nicht immer ein Segen, sagt er und kritisiert die steuerliche Besserstellung der Tech-Giganten. Für Europa fordert er einen „New Digital Deal“.
Europa ist auf dem Weg zum digitalen Entwicklungsland. Das ist eine der Kernaussagen Ihres Buchs. Was müsste Europa machen, um in die Spur zu kommen?
Rainer Will: Europa soll nicht die asiatische oder amerikanische Entwicklung kopieren, sondern sich ein Alleinstellungsmerkmal verpassen. Europa könnte sich als Datenparadies für Menschen positionieren, wozu es einen neuen ethischen Ansatz im Kontext von Datenhygiene braucht. Europa war immer gut in allem, was Qualität betrifft, wie made in Austria. Neben dem Red Ocean, in dem sich asiatische und amerikanische Datenschaufler wie Amazon und Alibaba matchen, soll Europa einen Blue Ocean schaffen.
Wie soll man sich diesen sauberen Ozean in Blau vorstellen?
Es braucht ein neues Feld, um dem Menschen die Datenautonomie zurückzugeben. Wozu muss man für ein Paar Schuhe, das man im Internet kauft, die Daten für immer zur Verfügung stellen? Der Konsument soll seine Daten wieder entziehen können. Das Recht auf digitale Datenhoheit muss zu einem Menschenrecht werden. Dieses Grundrecht könnte die heutigen digitalen Datenkraken ablösen.
Datenautonomie klingt aber nach viel Aufwand und dürfte schwer umzusetzen sein.
Jeder könnte etwa seinen eigenen Datensafe haben. Der Konsument stellt seine Daten für die jeweilige Transaktion nur temporär zur Verfügung. Das wäre technisch längst möglich und müsste von Europa lediglich forciert werden. Die Menschen würden solche Lösungen annehmen, weil sie durch Datenskandale und durch das Belauschen von sprachgesteuerten Assistenten verunsichert sind.
Sie beschreiben, dass die EU mit fragwürdigen Entscheidungen die Steuerdeals mit den Konzernen wie Amazon und Google erst mit ermöglicht hat. Wo sehen Sie die ethischen und moralischen Verwerfungen?