Am Herd

Selbstversuch mit Rüpelei

Fahrgäste bei der U-Bahn
Fahrgäste bei der U-Bahn(c) Clemens Fabry
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Und dann ist er doch noch ausgewichen, der vierschrötige Kerl, im letzten Moment hat er sich auf die Seite gedreht, um mich durchzulassen.

Freitagnachmittag in der SCS, Eingang Badner Bahn. Wir müssen zu Ikea, sobald man Kinder hat, muss man dort nämlich dauernd hin. Erst kauft man Wickelkommoden, dann Kinderstühle, schließlich Schreibtische und Hochbetten, und dazwischen Nachschub fürs zerdepperte Geschirr, in diesem Fall musste ein neuer Kasten her. Aber um bei Ikea einzukaufen, muss man es erst einmal zu Ikea schaffen, die Gänge des Einkaufszentrums waren heillos verstopft, keine Chance, da durchzukommen. Und zack, rempelte mich wieder ein Kerl an, der weder links noch rechts schaute, weil er offenbar der Meinung war, die SCS gehöre ihm. Also sagte ich zu Hannah: „Schau zu und lerne.“

Ich habe mich aufgerichtet, Kopf hoch, Schultern zurück, Augen starr geradeaus gerichtet, und bin losmarschiert. „Wichtig ist, dass du jeden Blickkontakt vermeidest. Große Schritte. Große, kräftige Schritte. Tempo halten. Immer geradeaus. Nicht ausweichen. Und nicht lächeln. Auf gar keinen Fall lächeln.“

Und wo ich gerade dabei war, habe ich Hannah auch noch erklärt, wie man sich in der U-Bahn Platz verschafft. Das ist gar nicht so schwer, man darf sich nur nicht vor Berührungen fürchten: Wenn ein Typ breitbeinig herumlümmelt, drückst du einfach deine Knie gegen seine, nicht zaghaft, sondern eher so „rumps“. Auch hier gilt: Blickkontakt vermeiden, möglichst grimmig schauen, nicht zurückweichen.

„Pass auf!“ Hannah war beeindruckt. Beeindruckt, dass das wirklich funktionierte, dass die Menge in der SCS sich vor mir teilte wie das Meer vor Moses. Dass sogar der vierschrötige Alpha-Macho auswich (Hannah zu Marlene, als wir wieder zu Hause waren: „Ich hab mir gedacht, der nicht, der garantiert nicht, und dann dreht er sich doch glatt im letzten Moment zur Seite und lässt die Mama vorbei!“). Beeindruckt war sie aber auch, weil ich ihr all die Jahre über exakt das Gegenteil beigebracht habe: dass man im öffentlichen Raum auf die anderen Menschen achten muss, sich nicht vordrängt, Rücksicht nimmt. „Nicht so schnell!“, „Pass auf!“, „Lass die Frau mit dem Kinderwagen vor!“

Und das gilt immer noch. Es ist natürlich nicht okay, in der U-Bahn gegen fremde Knie zu rumpsen und in der SCS einen Vierschröter auszubremsen, nur weil man es selbst eilig hat. Man verhindert keine Rüpeleien, indem man selbst zum Rüpel wird. Aber es ist immerhin gut zu wissen, wie das geht. Und wo wir schon dabei waren, sind wir in der Ikea-Selbstbedienungsabteilung gegen die Richtung gegangen, also von der Kassa zurück zum Restaurant. Ein junger Mann hat mich deshalb geschimpft.

Ein bisschen fand ich das lustig.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2019)

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