Unterwegs

Die Natur ist nicht unser Freund

Meeresrauschen kann auch ungemütlich sein.
Meeresrauschen kann auch ungemütlich sein.imago images/Nature Picture Libr
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Es gibt nichts Schöneres, als der Natur zu lauschen? Wem sein Trommelfell lieb ist, sollte es besser lassen.

Oh Natur, deine Klänge! Das Säuseln der Lüfte, das Jubilieren der Nachtigall, das Plätschern des Baches . . . Diese Dichter haben keine Ahnung. Offenbar waren sie noch nie im (laut Guinnessbuch) kleinsten Hotel der Welt auf der kleinsten Kanareninsel El Hierro. Dort ist es außer klein vor allem laut. Das Haus liegt einsam auf einer in den Atlantik ragenden Minihalbinsel, an deren Felsen ungehindert monströse Wellen krachen. Am ersten Abend findet man das Spektakel toll, in der ersten Nacht raubt es den Schlaf.

Wäre dieses Dröhnen wenigstens monoton! Aber nein: Das akustische Pendant zur Autobahn verdichtet sich alle paar Minuten zum Flugfeld, von dem drei Airbusse gleichzeitig starten. In den Zimmern gibt es keine Fernseher, damit die Gäste das Konzert für Fluten und Gischt in aller „Ruhe“ genießen dürfen. Wer mag, könnte sich aber auch singend oder fluchend das Beuschel aus dem Leib brüllen – niemand würde es stören.

Ich freute mich auf Zuhause, mein Schlafzimmer zum Hinterhof. Aber ach, dort riss mich in aller Früh die erste Krähe mit grausigem Krächzen aus süßem Schlummer. Mein bitteres Fazit: Die Natur ist nicht unser Freund, auch nicht, wenn sie zu uns spricht.

Nächstes Mal reise ich in eine Stadt, wohne im Hotel an der Hauptverkehrsader, denn dort haben sie die besten Schallschutzfenster. Und dann gönne ich mir, in frei gewählter Dosis, die vielstimmigen Artefakte menschlicher Zivilisation: das Klappern der Löffelchen im Kaffeehaus, das Bimmeln der Straßenbahn, das fröhliche Hupen der Automobile im Stau – man könnte fast zum Poeten werden!

karl.gaulhofer@diepresse.com

Nächste Woche: Gabriel Rath

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2019)

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