Der gebürtige Bulgare Emil Donkov in seinem Bekleidungs- und Designgeschäft in der Wiener Innenstadt.

Gefangen im Wendejahr

Emil Donkov gelang im November 1989 die Flucht aus dem kommunistischen Bulgarien. Doch während er im Flugzeug saß, zerfiel das Regime. Von einer Odyssee durch die Zeitgeschichte.

Es war der Moment, an dem Emil Donkov in einer kleinen Kaserne in den Bergen Bulgariens im Stockbett lag und an die Decke starrte. Genauer gesagt war es der Moment, als er aufstand und dieselbe Decke relativ grundlos nochmals musterte. Was hatte sich verändert? Eigentlich nur Donkovs Lage. Und doch aber alles für ihn. Denn plötzlich war dem 18-jährigen Rekruten, als sei er ein Regisseur, der die Kamera einstellte. In dem Moment stand es fest: Emil Donkov muss Filmemacher werden. Eine nahezu abstruse Idee in dieser Kaserne im Bulgarien der 1980er-Jahre, hinter dem Eisernen Vorhang, inmitten einer Gesellschaft, in der das Konzept der Kunst nicht unbedingt frei interpretierbar war. Doch das war Donkov ab diesem Blick auf die in jeglicher Hinsicht gewöhnliche Decke egal.

Donkov steht in seinem hellen, lang gezogenen Bekleidungs- und Designgeschäft „Urban Speed“ in der Wiener Innenstadt. Auf einem Tisch stehen pastellfarbene Gläser, ein dicker, rosa Krug, entlang der Wände befinden sich die Stangen mit dem Gewand. Ein grüner Fisch aus Textil hängt von der Decke. Donkov verkauft ausgefallene Mode, und er selbst trägt eine lange, türkis gestreifte Strickjacke in sattem Orange, eine dick umrandete Brille, seine silbergrauen Haare sind leicht zerzaust. Ein Filmprojekt hatte ihn vor fast zwei Jahrzehnten zufällig nach Österreich gebracht – es war das vorläufige Ende einer länderübergreifenden Odyssee. Vor genau 30 Jahren gelang ihm die Flucht nach Kanada, nur wenige Momente vor dem Mauerfall in Berlin und der Absetzung Todor Živkovs, dem kommunistischen Langzeitführer Bulgariens. Als Donkov das Flugzeug bestieg, wusste er das alles natürlich noch nicht. In anderen Worten: Während er über den Atlantik flog, überschlugen sich die Ereignisse. So hielt die Wendung der Geschichte Donkov lange Zeit in der Vergangenheit fest, nämlich im überwältigenden Jahr 1989.

Lineares Leben. Donkov verbrachte seine Jugendzeit zu einem Gutteil damit, Bücher über Filme und Filmgeschichte aufzutreiben, um dann ihren Inhalt regelrecht zu absorbieren. Doch er wusste auch: Ohne enge Beziehungen zur Nomenklatura bestand keine Chance, in der Kunstwelt Fuß zu fassen. So sehr Donkovs Entscheidung feststand, Filmemacher zu werden, so unwillig war er auch, sich mit dem Regime zu arrangieren. „Im kommunistischen Bulgarien herrschte Planwirtschaft. Ich bin aber nicht der angepasste Mensch, der sich einfach so in dieses starre System einfügt und linear lebt.“ Versuchen sollte er es dennoch: Nach seinem zweijährigen Militärdienst bewarb er sich an der Filmakademie in Sofia, scheiterte aber an einem dreijährigen Aufnahmestopp.

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