Film

„Lara“: Die verhinderte Klavierspielerin

Corinna Harfouch spielt die Mutter eines Pianisten, die ihren eigenen Traum von der Musikkarriere früh aufgegeben hat.
Corinna Harfouch spielt die Mutter eines Pianisten, die ihren eigenen Traum von der Musikkarriere früh aufgegeben hat.Studiocanal/Marco Krüger
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Jan-Ole Gersters Film „Lara“ erzählt – verdichtet auf einen einzigen Tag – von einer Sechzigjährigen, sie sich an Zigaretten, Gin Tonics und einer alten Kränkung abarbeitet. Und auf einen psychologischen Urknall hinsteuert.

Lara Jenkins' Sohn blickt von einem Konzertplakat auf seine Mutter herab. Da ist Jan-Ole Gersters Film „Lara“, die erste Regiearbeit nach dem viel umjubelten „Oh Boy“ aus dem Jahr 2012, schon eine ganze Weile ohne sein Gesicht ausgekommen. Aber das ist im Grunde nicht wahr. Wahr ist, dass Viktor (Tom Schilling) – so heißt Laras Sohn – von Anfang an gegenwärtig war in dieser Geschichte, die von omnipräsenten Personen, Leidenschaften und Zweifeln erzählt, die sich jedoch über Leerstellen ausdrücken. Ein bisschen ist es wie mit diesen Nagelbrettern, denen man um die Jahrtausendwende in zahlreichen Wohnzimmern begegnen konnte: Hände, Füße, Gesichter – nicht selten auch ein Stinkefinger – verewigten sich hier als 3-D-Skulpturen und kündeten von einer Präsenz, die einst mit den kühlen Nägeln in Kontakt getreten war.


Viktors großer Tag. „Lara“ nun ist ein Film dieses Gepräges. Das Milieu, in dem die sinnbildlichen Nägel hier gepikst, mitunter sogar Haut durchstochen haben, ist das der klassischen Musik. Nervös und gleichsam scharf wird es von Corinna Harfouch, die Lara spielt, umkreist. Einst selbst emsige Studentin des Pianos, hat sich die Titelfigur letztlich doch für eine Beamtenlaufbahn entschieden. Sie ist eine auf vielfache Weise Ausgestoßene (ob sie sich selbst dazu entschieden hat oder verstoßen wurde, das verrät der Film erst zum Schluss), die einen Tag lang versucht (eine größere zeitliche Dimension wird wie auch schon in „Oh Boy“ nicht gewährt), ins Zentrum vorzudringen. Denn dort, im Zentrum, da befindet sich Viktor, ebenfalls Pianist, der an diesem Abend, welcher noch dazu Lara sechzigster Geburtstag ist, seine erste eigene Komposition auf die Bühne bringen soll.


Ein Stoff mit „Projekthistorie“. Beinahe die erste Hälfte des Films widmet Gerster Laras Drang, in die Nähe ihres Sohnes zu gelangen. Mehr als einmal wählt sie Viktors Telefonnummer, die doch nur in das Schwarze Loch namens Mailbox führt. Als sie ihn dann endlich erwischt, bei der Großmutter, zu der er sich vor Wochen zurückgezogen hat, um ungestört an seinem Stück arbeiten zu können, fällt ihr nichts Besseres ein, als das, was er dort zu Papier gebracht hat, als „musikantisch“ zu beschreiben. Viktor versinkt in der Krise. Abermals ist Lara zu jener überlebensgroßen Pförtnerin angewachsen, die darüber richtet, ob ein möglicher Erfolg das Risiko eines Versagens lohnt.

Abschätzungen, die wohl jeder öffentlich Schöpferische oder schöpferische Öffentliche gelegentlich vornimmt, mit unterschiedlichen Graden der Qual. Nicht zuletzt tut es auch Regisseur Jan-Ole Gerster. Mit dem Stoff, der aus der Feder des Slowenen Blaž Kutin stammt, ein Stoff mit „Projekthistorie“, für den einmal sogar Jeanne Moreau vorgesehen war, kann er offensichtlich etwas anfangen. Im familiären Tauziehen um Meinungsautorität generiert „Lara“ einen energetischen Mittelpunkt, in dem einerseits viel Kraft gebunden und versuchsweise neutralisiert wird – allein die Zigaretten, die Lara schachtelweise inhaliert, künden davon. Andererseits erreicht die angestaute Spannung von Mutter und Sohn eine Dimension, die es dann vielleicht doch erlaubt, alles in die Luft zu jagen.


Nachmittägliche Drinks. Ausgedrückt wird das wundersamerweise in anonymen und doch intimen Bildern. Wenn Lara mal wieder hinter den Scheiben eines Westberliner Cafés verschwindet, kann man sie nicht mehr erkennen. Und erkennt sie in ihrer merkwürdigen Gefasstheit, mit der sie sich an nachmittägliche Gin Tonics klammert, als wäre es nichts, dann trotzdem. Die ganze „Lara-Uniform“, wie Regisseur Gerster sie nennt, symbolisiert ihren Konflikt: Sie ist versteckt hinter einer riesigen Sonnenbrille, aber gehüllt in einen rostroten Mantel, der nach Gesehenwerden, nach Applaus verlangt. Film wie Frau steuern, schief-festen Schrittes, auf etwas hin, das als nichts weniger zu bezeichnen ist als ein psychologischer Urknall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2019)

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