Der Stabilitätspakt bleibt unverändert. Seine „Verschärfung“ hängt vom Willen zur Selbstkontrolle ab.
BRÜSSEL. Wenn man Eurokraten so richtig schön frotzeln will, muss man nur zwei Wörter sagen: „Stabilitätspakt aufschnüren“.
Denn das will in Brüssel niemand – bis auf die Deutschen. Finanzminister Wolfgang Schäuble reiste seit Beginn der griechischen Finanzkrise, die mittlerweile eine gesamteuropäische ist, wiederholt zu Treffen mit seinen Amtskollegen an, um sich ein ums andere Mal dieselbe Antwort einzufangen: Der Pakt, kraft dessen die Euroländer ihr Defizit unter drei Prozent und ihre Schuldenlast unter 60 Prozent der Wirtschaftsleistung halten müssen, mag sich zwar als mangelhaft erwiesen haben, neu verhandeln will man ihn aber nicht. Denn dazu bedürfte es einer Änderung des EU-Vertragswerks – samt 27 nationalen Ratifizierungsverfahren. Die Erfahrung, den EU-Reformvertrag von Lissabon durchzuschieben, hatte einen paneuropäischen pädagogischen Effekt: So schnell will sich niemand mehr eine Grundsatzdebatte über die Grenzen der nationalen Zuständigkeiten antun.
Bloß zwingen die Finanzmärkte zu so einer Grundsatzdebatte: Wie bringt man 16 (einschließlich Estland bald 17) nationale Budgetpolitiken unter den einen währungspolitischen Hut der Eurozone?
Van Rompuys Griff zum „!“
Am Montag haben die Finanzminister (einschließlich jener der Nichteuroländer) unter Vorsitz von Ratspräsident Herman Van Rompuy erneut versucht, dieses Dilemma zu lösen.
Auf vier Dinge konnte man sich einigen. Eins vorweg: Budgetpolitik bleibt voll und ganz die Zuständigkeit der Staaten. Zwar soll es erstens ein „europäisches Semester“ geben. Die Staaten sollen ihre Budgetpläne also vorab im Frühjahr einander und EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn vorlegen. „Natürlich nicht im Detail, und auch nicht von den europäischen Institutionen beschlossen!“, beeilte Van Rompuy sich unter Setzung eines Rufzeichens hinzuzufügen. Kein Eingriff also in nationale Zuständigkeiten. Stattdessen der Gruppendruck der anderen Finanzminister.
Zweitens will man künftig Verstöße gegen den Pakt früher ahnden. Schon wenn der Schuldenstand zu schnell steigt oder sich die Zeichen mehren, dass das Defizit die Drei-Prozent-Schwelle zu übersteigen droht, soll es ab in die Folterkammer gehen. „Ab sofort bekommen Sie auch Probleme, wenn Sie bei Orange über die Kreuzung fahren“, sagte Van Rompuy. Bloß: Als Berlin und Paris Anfang der 2000er-Jahre mehrfach rote Ampeln ignorierten, hat man einfach die Verkehrsregeln geändert.
Unabhängigkeit für Statistiker
Drittens will man mehr Augenmerk auf den Schuldenstand statt das jährliche Defizit legen. Und viertens verpflichten sich die Staaten, die Unabhängigkeit ihrer Statistikbehörden zu gewährleisten. Denn nur so kann das EU-Statistikamt Eurostat seine neu verliehenen Kompetenzen (bis hin zu Ad-hoc-Missionen) voll nutzen.
Den Rahmen des rechtlich Möglichen haben die Finanzminister hiermit ausgeschöpft. Ob das zur Stabilisierung der Haushalte beiträgt, wird davon abhängen, ob Gruppendruck genügt, um säumige Staaten in die Folterkammer des Stabilitätspaktes zu schicken. Zweifel am Euro-Rettungsschirm, Seite 13
AUF EINEN BLICK
■Vier Neuerungen: Die Finanzminister der Eurozone haben sich auf einige Konkretisierungen des Stabilitätspaktes geeinigt.
■Vorbeugeprinzip: Budgetpläne sollen vorab nach Brüssel gemeldet, Sanktionen früher verhängt werden. Die Schulden sollen genauer überwacht, Statistikämter unabhängig werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)