In westlichen Demokratien gibt es so viel öffentlichen Widerstand wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Woran liegt es?
Auf in den Kampf: Millionen Menschen zieht es auf die Straßen, in Hongkong, Barcelona, London, in Chile, im Libanon, und für das Klima skandieren sie allerorten. Mit den Gelbwesten in Frankreich ist es im Vorjahr losgegangen, heute steht fest: Ein solches Ausmaß an politischer Einmischung durch öffentlichen Widerstand haben westliche Demokratien seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Stehen wir wie 1968 vor einem Epochenbruch, in dem die Zivilgesellschaft das Establishment neu formt? Vor einer „globalen gesellschaftlichen Bewegung“, die man bei der „Zeit“ herbei träumt?
Ein Unterschied zu 68: Es fehlt die gemeinsame Vision. Heutige Proteste haben inhaltlich nichts miteinander gemein. Hongkong-Chinesen kämpfen für den Erhalt von Bürgerrechten und Demokratie, Katalanen zelebrieren ihren Nationalismus und anti-spanische Ressentiments. Der Aufruhr in Frankreich hatte – ähnlich wie nun in Chile – einen banalen Auslöser und war von einem vagen Unmut über die Abgehobenheit von Machteliten getragen; seine Ziele waren ein Sammelsurium inkompatibler Forderungen. Im Gegensatz dazu ist der Aufstand der Jugend, global fürs Klima oder in den USA gegen Waffenbesitz, stark fokussiert, mit präzisen, ja quantifizierbaren Forderungen.