Rund 100.000 junge Österreicher haben maximal Pflichtschulabschluss. Kinder von ungebildeten oder arbeitslosen Eltern haben die schlechtesten Chancen.
Wien (chs). Ein „Ort des Scheiterns“ ist das heimische Schulmodell für die Arbeiterkammer: Rund 10.000 Jugendliche fliegen laut einer Untersuchung des Instituts für Höhere Studien jährlich verfrüht aus dem Bildungssystem. Sie verfügen maximal über einen Pflichtschulabschluss und haben danach keine weiterführende Ausbildung begonnen oder sind daran gescheitert. Insgesamt, heißt es in der Studie, sind rund 94.100 Österreicher zwischen 15 bis 24 Jahren betroffen – das ist jeder Zehnte.
Das System ist dabei sozial selektiv: Besonders häufig scheitern Jugendliche aus sogenannten bildungsfernen und sozial niedrigen Schichten. So ist das Abbruchrisiko von Kindern schlecht gebildeter Eltern fünf Mal so hoch wie jenes von Kindern aus gebildeten Familien (siehe Grafik). Zwanzig von hundert Kindern mit niedrig qualifizierten Eltern sind laut Studie frühe Bildungsabbrecher.
Ähnlich wirken sich der Berufsstatus der Familienmitglieder und deren Jobsituation aus. Kinder von Arbeitslosen haben ein knapp vier Mal so hohes Risiko, aus dem System zu fallen. Ähnlich verhält es sich bei Migranten. Der Grund dafür sei vor allem „mangelnde Unterstützung“ in der Schule, heißt es in einer qualitativen Umfrage der WU Wien, die im Auftrag der Arbeiterkammer insgesamt 25 Betroffene interviewte. Diese gaben an, dass oft „zu wenig Zeit vorhanden war, um Leistungsschwächen auszugleichen“. Schwänzen – eine Gemeinsamkeit der Befragten – sei ohne Konsequenzen geblieben.
Die Folgen seien weitreichend, sagt Susanne Schöberl, Bildungsexpertin der AK Wien: Jedes Jahr, das ein Jugendlicher länger in der Schule bleibe, beschere ihm sieben Prozent mehr Lebenseinkommen; die Einnahmen des Staates (etwa durch Steuern) würden um acht Prozent steigen. Die AK kritisiert vor allem die Reformresistenz des Systems: Der Prozentsatz an frühen Abbrechern sei seit zehn Jahren konstant. „Das EU-Ziel aus 2000, die Quote bis 2010 zu halbieren, wurde damit nicht ansatzweise erreicht.“ Die AK fordert eine bessere frühkindliche Förderung, die Einführung der Gesamtschule, den Ausbau ganztägiger Schulangebote und mehr Plätze an berufsbildenden Schulen.
OECD: Mangel an Flexibilität
Gerade um die Berufsausbildung ist es jedoch nicht so schlecht bestellt, besagt eine neue OECD-Studie: In kaum einem anderen Land habe „die beruflich ausgerichtete Ausbildung in der Sekundarstufe (etwa Berufsschulen, BMHS) eine so große Bedeutung wie in Österreich“. 70 Prozent besuchen diese Schultypen, der OECD-Mittelwert liegt bei 45 Prozent. Kritisch sei die „starke Ausrichtung an einzelnen Berufsbildern“, etwa in der Lehre: Dies könne die Flexibilität der Arbeitnehmer einschränken und Erwerbschancen mindern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2010)