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100 Millionen Testkilometer pro Woche

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Bevor automatisiert fahrende Autos für den Verkehr zugelassen werden, muss man sie zahllosen Probesituationen aussetzen. In der Steiermark erfolgt dies in realer und virtueller Umgebung.

Wie man der Zukunft des autonomen Fahrens und eines unfallfreien Straßenverkehrs näher rückt, zeigt sich in der steirischen Testregion ALP.Lab. Die Austrian Light Vehicle Proving Region for Automated Driving bietet umfangreiche Daten, Infrastruktur und Dienstleistungen für sicheres Testen auf öffentlichen Straßen an. Schließlich gilt es, Fahrzeuge mit Fahrassistenzsystemen und automatisiert fahrende Autos zahllosen Probesituationen auszusetzen, bevor sie für den Verkehr zugelassen werden.

Das Innovationslabor verbindet reale und physische Strecken wie Autobahnen (Abschnitte der A2 und A9), Tunnel, Bergstrecken, Grenzübergänge und Mautstellen mit virtuellen, synthetischen Umgebungen wie Fahrsimulatoren und Prüfstände. „Das ist ein Meilenstein für die Steiermark. Wir werden gemeinsam die Modellregion zur europäischen Vorzeigeregion entwickeln“, sagt Jost Bernasch, Geschäftsführer von Virtual Vehicle. Das am ALP.Lab-Projekt maßgeblich beteiligte, internationale F&E-Zentrum für die Automobil- und Bahnindustrie mit Sitz in Graz konzentriert sich auf die konsequente Virtualisierung der Fahrzeugentwicklung.

Multi-Ego-Fahrzeuge

Im April 2019 wurde mit dem Drive.Lab eine Forschungsplattform in Betrieb genommen, die das Zusammenspiel von Mensch und automatisiertem Fahren optimieren soll. Im Zentrum steht mit dem „Human Centered Driving Simulator“ ein neuartig konzipierter Fahrsimulator. Hier werden die Wechselwirkungen zwischen Fahrer, Insassen, Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern in komplexen Situationen untersucht.

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Durch sogenannte Multi-Ego-Fahrzeuge können mehrere Verkehrsteilnehmer aufeinander reagieren. Zudem wird daran gearbeitet, den Simulator mit anderen Fahrsimulatoren, mit Fußgängern via Augmented oder Virtual Reality oder auch mit Automated-Drive-Forschungsfahrzeugen zu verbinden. „In etwa zwei bis drei Jahren könnten die ersten autonomen Fahrzeuge zu Forschungszwecken auch in der steirischen Hauptstadt unterwegs sein“, glaubt Bernasch.

Human-like

„Mit Drive.Lab schlagen wir eine Brücke zwischen automatisierten Fahrmanövern und menschlichem Verhalten“, sagt Bernhard Brandstätter, Leiter Energy Efficiency & Human Centered Solutions bei Virtual Vehicle. Das Ziel ist die Entwicklung von Systemen, die in komplexen Verkehrssituationen menschenähnlich reagieren, deren Verhalten also für den Menschen verständlich und nachvollziehbar ist. Erst das Vertrauen zur Technik könne laut Brandstätter den Weg zu automatisiertem Fahren ebnen.

Scannen des Fahrerverhaltens

Unter dem Überbegriff Human-like-Systems werden Fahrer zunächst unterschiedlichen Verkehrsszenarien ausgesetzt und ihr psychophysischer Zustand sowie ihr Verhalten systematisch gescannt. Zum Einsatz kommt eine Messtechnik, die vor allem die Aufmerksamkeit des Fahrers, aber auch seine Handlungen erfasst. Mit Eye-Tracker, Time-of-flight-Kameras zur berührungslosen Ermittlung der Pulsfrequenz, Wearables und Mikrofonen kann festgestellt werden, ob sich der Fahrer gerade im Gespräch befindet, welche Bewegungsabläufe er vollzieht oder ob etwa laute Musik läuft und seine Aufmerksamkeit eingeschränkt ist. Daraus lassen sich Prognosemodelle für das menschliche Verhalten ableiten, die später in der Steuerung von automatisierten Fahrzeugen implementiert werden können. „Die im Drive.Lab getesteten Systeme für Fahrassistenz und menschenähnliches automatisiertes Fahren werden die Anzahl und die Schwere von Unfällen drastisch reduzieren, insbesondere wenn Fahrer für die Verwendung dieser Systeme geschult sind“, ist Bernasch überzeugt.

Vision Zero im Fokus

Beim kürzlich gestarteten und von Virtual Vehicle koordinierten EU-Projekt Osccar geht es um einen weiteren Schritt in Richtung der „Vision Zero“, sprich der Vermeidung tödlicher Verkehrsunfälle bis zum Jahr 2050. Im Fokus stehen neuartige Sicherheitssysteme für die Insassen der kommenden hochautomatisierten und vernetzten Fahrzeuggeneration. Diese Fahrzeuge werden mehr sein als nur ein Transportmittel, sie ermöglichen durch neuartige Innenraumkonzepte und Sitzpositionen eine komfortable, besser genutzte Reisezeit.

Für die Entwicklung hierfür notwendiger Sicherheitskonzepte werden unter anderem sogenannte Human Body Models eingesetzt - das sind menschenähnliche Körpermodelle, die auch Organe, Knochen und Muskeln beinhalten. „Diese Modelle existieren nicht physisch, sondern werden als Simulation am Rechner abgebildet. Damit ist eine viel detailliertere und differenziertere Beurteilung von Sicherheitssystemen und Unfallszenarien als mit herkömmlichen Crashtest-Dummys möglich“, so Bernasch.

Eine neue, virtuelle Test- und Simulationsmethodik zum Thema der gefühlten Sicherheit beim Autonomen Fahren wurde jüngst auch von AVL List vorgestellt. Das Grazer Unternehmen für die Entwicklung von Antriebssystemen setzt darauf, automatisierte Funktionen in allen Phasen der Entwicklung erlebbar zu machen. Zentraler Punkt des Verfahrens ist eine objektive Bewertung von Kundenempfindungen in Echtzeit. Der Einsatz im gesamten Entwicklungsprozess ermöglicht es, endkundenorientierte Eigenschaften wie gefühlte Sicherheit, Fahrkomfort, Handling sowie die Längsperformance zu berücksichtigen. So können in der virtuellen Entwicklung frühzeitig umfassende Tests sowie erste Vorkalibrierungen der Eigenschaften und Leistungsmerkmale von automatisierten Fahrfunktionen erfolgen. Die Simulationsmethodik erlaubt es zudem, pro Woche mehr als 100 Millionen Testkilometer virtuell abzuspulen und die Ergebnisse zu analysieren und zu bewerten.

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