St. Petersburg

Der mörderische Professor

Napoleon-Verehrer und mutmaßlicher Mörder: Oleg Sokolow (hier ein Archivbild von 2012) in seiner Lieblingsrolle beim Nachstellen der Schlacht bei Borodino von 1812.
Napoleon-Verehrer und mutmaßlicher Mörder: Oleg Sokolow (hier ein Archivbild von 2012) in seiner Lieblingsrolle beim Nachstellen der Schlacht bei Borodino von 1812.(c) APA/AFP/PETRAS MALUKAS (PETRAS MALUKAS)
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Russischer Napoleon-Forscher erschießt und zerstückelt seine junge Geliebte – und wird beim Verwischen der Spuren erwischt.

St. Petersburg/Moskau. Der Name Oleg Sokolow war bisher nur einer eingeschworenen Fangemeinde ein Begriff. Der St. Petersburger Geschichtsprofessor, Mitglied der französischen Ehrenlegion und Napoleon-Verehrer gründete noch in der Sowjetära eine Gesellschaft, deren Popularität seit Jahren wächst. Es geht um die Nachstellung historischer Schlachten durch Laien, sogenannte Rekonstrukteure. Rekonstruktionen von Napoleons Russlandfeldzug 1812, in Russland als Vaterländischer Krieg bekannt, ließ sich der 63-jährige Sokolow nicht entgehen. Er mimte den Franzosenkaiser mit Zweispitz und hoch zu Ross.

Seit diesem Wochenende ist Sokolow in ganz Russland bekannt. Allerdings nicht wegen seiner populärhistorischen Verdienste, sondern wegen eines Gewaltverbrechens. Er hat – wie er mittlerweile gestand – seine Freundin, die 24-jährige Anastasia Jeschenko, ermordet. Jeschenko, ebenfalls Historikerin, lebte und arbeitete mit dem älteren Mann zusammen. Sie war Co-Autorin mehrerer wissenschaftlicher Artikel. Das Paar beteiligte sich gemeinsam an den Schlachtenrekonstruktionen.

Berichte über tödliche Gewalt in der Familie sind in Russland keine Seltenheit. Der Mord an Jeschenko sticht jedoch wegen seiner Mischung aus Brutalität und Tölpelhaftigkeit heraus. Sokolow erschoss seine Partnerin nach einem Streit in der St. Petersburger Wohnung und zerteilte ihren Körper mit einer Säge. Am Samstagmorgen wollte er die Leichenteile in einem nahen Wasserkanal, der Moika, entsorgen. Er dürfte dabei schwer alkoholisiert gewesen sein; Bilder einer Überwachungskamera zeigen einen schwankenden Mann. Beim dritten Abladen fiel er in den Fluss. Bei seiner späteren Rettung fand man in seinem Rucksack zwei weibliche Arme. So kam der Kriminalfall ans Licht – und Sokolow in zweimonatige Untersuchungshaft. Medienangaben zufolge hatte er ein anderes Finale vorgesehen: Er wollte sich als Napoleon verkleidet von der Peter-und-Paul-Festung stürzen.

Frühere Mitstreiter distanzieren sich nun eilig von dem Gewalttäter: Die russische militärhistorische Gesellschaft löschte Sokolows Personaleintrag kurzerhand von ihrer Website.

Über das Tatmotiv herrscht noch keine Klarheit. Russische Medien spekulieren, dass der 63-Jährige aus Eifersucht gehandelt habe; in einem anderen Bericht heißt es, seine Partnerin habe mit Sokolows Kindern aus erster Ehe Streit bekommen.

Widerstand gegen Opferschutz

Der Mord dürfte die Debatte um die Verhinderung häuslicher Gewalt neuerlich anheizen. 2017 wurde Gewalt in der Familie in Teilen entkriminalisiert. Ein Gesetzesvorschlag, der Opferschutz verstärken und Zugang zu psychologischer Betreuung erleichtern soll, liegt seit Jahren vor. Konservative Politiker interpretieren Antigewaltmaßnahmen und Opferschutz als Bedrohung für familiäre Strukturen. Eine hochrangige Vertreterin des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, ein Organ, das sich gemeinhin nicht durch besonders progressive Ansichten auszeichnet, stellte sich am Montag hinter das Gesetzesprojekt und kritisierte den „sehr aktiven“ politischen Widerstand. „Gewalt ist die größte Bedrohung für die Familie“, sagte Irina Kirkowa. „Wenn der eine im Gefängnis sitzt und der andere unter der Erde liegt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2019)

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