Im Bunker werden Ameisen zu Kannibalen

Hunderttausende Ameisen fielen in Polen in ein Lager für Atomwaffen – und überlebten auf sinistre Art.

Da unten ist es stockdunkel, kalt, aber nur scheinbar ohne Leben. Fledermäuse überwintern dort, sie fliegen über Schächte ein und aus. Ihretwegen hatten polnische Zoologen den früheren Sowjetbunker für Atomwaffen 2013 untersucht. Dabei entdeckten sie einen kleinen Raum voller Ameisen, Hunderttausende, vielleicht eine Million (Journal of Hymenoptera, 31.10.). Wie kamen sie dorthin?

Über dem Belüftungsrohr hatte eine Kolonie ihren großen Haufen aus Fichtennadeln gebaut. Als die Abdeckplatte des Rohres durchgerostet war, fielen viele Tiere in diese Grube. Sie konnten nicht entkommen, weil das Rohr in der Mitte der Decke endet. Keine Königin, zu kalt zur Fortpflanzung – so schien die Truppe zum Aussterben verurteilt. Aber die Gefangenen kamen ihren sozialen Pflichten weiter nach, bauten einen Erdhaufen mit Nestern, hielten deren Zugänge frei und stapelten Leichen am Rand zu „Friedhöfen“. Die Kolonie wurde eher größer als kleiner, über drei Jahre lang. Im Sommer fielen neue Opfer in die Falle. Aber zumindest eine Wintersaison mussten die Tiere offenbar überlebt haben.

Wovon ernährten sie sich? Von Milben oder Fledermauskot? Davon gab es viel zu wenig. Eine Untersuchung von Leichen im Labor zeigte: Sie waren angenagt, ausgeweidet. Die Überlebenden verzehrten also ihre Artgenossen (wie sonst nur getötete Feinde nach Kriegen um Territorien). Mittlerweile wurden die Ameisen befreit: Über ein ans Rohrende gelehntes Brett krabbelten sie an die Oberfläche – und wurden in ihrem Staat problemlos resozialisiert. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2019)

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