Boliviens Ex-Präsident Morales setzt sich nach Mexiko ab. Die Armee schreitet gegen seine marodierenden Anhänger ein.
Buenos Aires/La Paz. Nach dem Rücktritt des Präsidenten Evo Morales und mehr als 50 seiner Spitzenfunktionäre regiert nun allein die Gewalt in Bolivien. Nachdem Morales-Anhänger vor allem in den Städten La Paz, El Alto und Cochabamba wüteten, erklärte sich der Kommandierende der Streitkräfte bereit, die Polizei zu unterstützen. Die zwei Sicherheitsorgane trennt in Bolivien seit Jahrzehnten ein tiefer Graben, den Morales lange zu Gunsten des Militärs ausgenutzt hatte. Nachdem nun der Polizeichef einen schriftlichen Hilferuf aussandte, konnten die Militärs nicht weiter mauern und begannen zu patrouillieren. Kommandant Williams Kaliman sagte, die Soldaten würden mit „angemessener Gewalt gegen Gruppen vorgehen, die Terror in der Bevölkerung auslösen“.
Vor allem in La Paz hatte sich Panik ausgebreitet, nachdem über die sozialen Netzwerke Bilder aus der oberhalb der Regierungsmetropole gelegenen Vorstadt El Alto die Runde machten. Dort waren tausende junge und vermummte Anhänger von Morales‘ Bewegung zum Sozialismus (MAS) zu sehen, die rannten und dabei riefen „ahora sí, guerra civil!“, zu deutsch: „Ja, jetzt Bürgerkrieg!“. Die Bewohner schlossen sich in ihren Häusern ein und verfolgten voller Angst die Szenen am TV-Schirm. In der Nacht hatten MAS-Anhänger ein Busdepot angezündet und dabei mehr als 30 Vehikel zerstört. Das Wohnhaus eines Universitätsrektors ging in Flammen auf, ebenso die Bleiben prominenter Morales-kritischer Journalisten.
Das „rote Amerika“ hält zusammen
„Der Löwe ist aufgewacht“, prahlten MAS-Sympathisanten auf Facebook, während Evo Morales aus seinem Versteck im Koka-Anbaugebiet Chapare einen offiziellen Asylantrag bei Mexikos Regierung stellte. Am Dienstagvormittag traf Morales schließlich in Mexiko ein, nachdem eine Maschine des mexikanischen Militärs ihn via Paraguay ausflogen hatte. Die Flucht des Ex-Präsidenten wurde offenbar in Buenos Aires geplant, wo der künftige Präsident Alberto Fernández am Wochenende mehrere Ex-Präsidenten versammelte, die einst das „rote Amerika“ angeführt hatten. Wie Fernández verurteilten der Ecuadorianer Rafael Correa, die Brasilianerin Dilma Rousseff und der chilenische Sozialist Marcos Enríquez-Ominami den Regierungswechsel in La Paz als Staatsstreich und übergingen in ihrer Empörung Morales‘ massive Wahlfälschungsversuche, die letztlich den Aufstand in weiten Teilen Boliviens ausgelöst hatten.
Argentiniens liberale Regierung wollte sich der Staatsstreich-These ebenso wenig anschließen wie die herrschenden Konservativen in Chile, Paraguay und Kolumbien. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro spendete – wie auch Donald Trump – gar Beifall für die bolivianischen Streitkräfte, die Morales am Sonntag zum Amtsverzicht gedrängt hatten. Ihr Argument: Bolivien habe noch ein funktionierendes Parlament. Dort könne die Mehrheit des MAS eine neue Übergangsführung bestimmen und Neuwahlen festsetzen.
Ob das freilich so einfach geht, war die große Frage zu Wochenanfang. Um die Plaza Murillo, an der das Parlament sowie die Regierungsgebäude stehen, haben die Morales-Gegner massive Barrikaden errichtet. Viele MAS-Abgeordnete halten sich nach einer Serie von Mordanschlägen in der Vorwoche versteckt. Die bisher zweite stellvertretende Vorsitzende des Senats, die Oppositionspolitikerin Jeanine Añez, versuchte als ranghöchste verbliebene Staatsvertreterin, eine Parlamentssitzung zu organisieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)