Gastbeitrag

Der Klimawandel bedroht vor allem die Städte!

(c) Peter Kufner
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Weltweit leben immer mehr Menschen in urbanen Ballungsgebieten, dieses Wachstum wird weiter zunehmen. Der Klimawandel hat urbane Ursachen und globale Folgen, und er kann nur in und durch die Städte aufgehalten werden.

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Klimanotstand! Immer mehr Länder und Städte rufen ihn aus. Als erstes Land in Europa hat Frankreich inmitten der Hitzewelle im Juni dieses Jahres den „Umwelt- und Klimanotstand“ ausgerufen, Österreich ist Ende September gefolgt. Die Folgen des Klimawandels zwingen vor allem die Städte zur drastischen Anpassung. Und das nicht nur im Süden der Welt, in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Fast 80 Prozent der 520 größten Städte weltweit werden einen extremen Klimawandel erleben, in einem Fünftel der globalen Megastädte werden Temperaturen herrschen, die es bisher in keiner Großstadt gibt, prognostiziert eine neue Studie der ETH Zürich. Bis 2050 könnten demnach die durchschnittlichen Temperaturen in Europas Städten um bis zu vier Grad im Sommer und um fünf Grad im Winter ansteigen. London wird zu Barcelona, Wien zu Athen, Berlin zu Madrid und Madrid zu Marrakesch.

Vor allem die globalen Megacitys fühlen sich durch den Klimawandel bedroht. Sie sind motivierter, das globale Problem zu lösen, weil sie schneller und empfindlicher unter ihm leiden. Weltweit leben immer mehr Menschen in Städten und urbanen Ballungsgebieten, bald 80 Prozent der Bevölkerung. Dieses Wachstum wird weiter zunehmen. Deshalb entscheidet sich die globale Klimakrise in den großen Städten.

Denn der Klimawandel hat urbane Ursachen und globale Folgen: Städte sind für beinahe die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, die urbanen Infrastrukturen verbrauchen etwa 70 Prozent der weltweiten Energie. Neun von zehn Städten weltweit liegen an einem Gewässer (Meer, See, Fluss), 14 der 17 größten Städte liegen direkt an der Küste. Großstädte wie Mumbai und Miami können in diesem Jahrhundert in steigenden Meeren versinken. Aber nicht nur am Wasser, auch auf dem Land sind Leben und Lebensqualität bedroht.

Mit drastischen Worten beschreibt der Bürgermeister der englischen Hauptstadt, Sadiq Khan, die Lage: „Die Luft in London ist ein Killer.“ Die schlechte Luftqualität sei heute das größte Umwelt- und Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung.

Die Städte wehren sich

Die Städte wehren und vernetzen sich und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. In den USA ist dem Ausstieg Donald Trumps aus dem globalen Klimaabkommen keine Stadt gefolgt. Staaten wie Kalifornien betreiben längst eine eigene Klimapolitik. Die Bürgermeister von London, Paris, Los Angeles, Kopenhagen, Barcelona, Mexiko-Stadt und Mailand haben sich dazu verpflichtet, ab 2025 nur noch Elektrobusse zu kaufen. Bis 2030 wollen sie weitgehend emissionsfrei sein. Wie sich die Energiewende mit einer steigenden urbanen Lebensqualität koppeln lässt, zeigen vor allem die Städte des europäischen Nordens. So haben Kopenhagen und Amsterdam den Autoverkehr in den vergangenen Jahren massiv reduziert. Ihr Beispiel zeigt: Gibt es attraktive Radwege, steigen die Bürger aufs Fahrrad um.

In Österreich wurde die Initiative „Zero Emission Cities“ gegründet. Wien ist seit Jahren beim Thema Lebensqualität global führend und gilt in Sachen Wohnen und Mobilität als Vorbild für die Metropolen von morgen. In einer App bekommen die Wiener Bürger angezeigt, wie viel CO2 sie durch die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs gespart haben.

Ab 2020 startet die Stadt das Projekt „Kultur-Token“: Mit einer App werden die Bürger spielerisch zu klimaschonendem Verhalten animiert. Die Wiener können dann Punkte sammeln, wenn sie zu Fuß gehen oder das Rad oder die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Diese „Tokens“ können sie in Kultureinrichtungen der Stadt einlösen.

Um die Klimakrise zu stoppen, müssen die Städte grüner und kühler werden. Trends wie Urban Farming weisen den Weg: Die Landwirtschaft wird zunehmend zur Stadtwirtschaft. Die Frage nach der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung wird auch in den urbanen Räumen beantwortet. Mehr Landwirtschaft in den Städten sorgt für besseres städtisches Klima, mehr Artenvielfalt und nachhaltigere Stadtentwicklung. Dabei kommt es entscheidend auf eine nachhaltige Architektur an.

Klimaverträgliche Architektur

Viele Gebäude sind nicht gerüstet für die zunehmende Hitze. Die Nachverdichtung der Städte muss klimaverträglicher werden, das Berufsbild der Architekten verändert sich. Es geht um eine Balance aus „höher, enger, dichter“ und „offener, kühler und grüner“. Die Städte müssen in den nächsten Jahren klimaresistenter werden – durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen, nachhaltigem Bauen, mehr Grünflächen sowie regionaler Landwirtschaft. Die Klimakrise führt damit zu einer Aufwertung des ländlichen Raums. Der Kampf gegen die Klimakrise wird zum Projekt der Bürgermeister – und Bürger. Letztere unterstützen den Wandel, wenn sie sich von Anfang an beteiligen können.

Die Antwort auf den Klimawandel ist deshalb die „Klimademokratie“. So hat der Stadtrat von Zürich sich dazu entschieden, zwar auf das Ausrufen des „Klimanotstands“ zu verzichten, aber bei der Abwägung von Interessen dem Klima dennoch eine Priorität einzuräumen – und die Züricher dabei aktiv einzubinden. Zürich setzt auf eine breite Beteiligung der Bürger und auf Anreize, damit sich das Engagement auch auszahlt. Für den nötigen Wettbewerb der besten Ideen, das experimentelle Voneinander-Lernen und die Entfesselung der kollektiven Intelligenz könnten weltweit Städte-Olympiaden wie der soeben gestartete Climate City Cup sorgen (siehe climatecitycup.org).

Klimademokratie als Antwort

Die Industriestaaten unternehmen zu wenig im Kampf gegen die Klimakrise. Die Klimawende braucht daher die lokale Demokratie und ihre Bürgermeister. Auf sie sollte die neue Klimabewegung setzen. „Wenn Bürgermeister die Welt regierten, wären viele globale Probleme längst gelöst“, schrieb Benjamin Barber, der weltweit angesehene und inzwischen verstorbene US-Forscher für Zivilgesellschaft, in seinem letzten Bestseller „If Mayors Ruled the World“. Barber zufolge reagieren Städte schneller, konkreter und bürgernäher auf Krisen und Herausforderungen wie den Klimawandel. 2016 gründete Barber das „Global Parliament of Mayors“, in dem mehr als 60 Städte und Netzwerke wie Eurocities, die US-Bürgermeisterkonferenz und die OECD vertreten sind.

Die wichtigste Erkenntnis: „Think global, act local!“ Frankreich setzt auf kollektive Intelligenz und hat einen Klima-Bürgerrat eingerichtet, der bis Januar 2020 Vorschläge zur Reduzierung der Treibhausgase um 40 Prozent machen soll. Der grüne Fortschritt braucht in Zukunft mehr – und nicht weniger – Demokratie und Beteiligung, Kreativität und Kooperation, Innovation und Freiheit.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Daniel Dettling (*1971) hat Rechts-, Politik- und Verwaltungswissenschaften studiert. Er ist Gründer des Instituts für Zukunftspolitik und berät Unternehmen, Ministerien, Verbände, politische Parteien und Stiftungen. Dieser Beitrag erscheint in der Studie „Neo-Ökologie – Der wichtigste Megatrend unserer Zeit“: www.onlineshop.zukunftsinstitut.de/shop/neo-oekologie-der-wichtigste-megatrend-unserer-zeit/?utm?source=zi-startseite-header&utm?campaign=neo-oekologie-trendstudie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)

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