Gastkommentar

Syrien-Einmarsch der Türken war im Interesse der EU

Worüber die westlichen Medien berichten – und worüber nicht.

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Dass die Türkei in Nordsyrien einmarschiert ist, hat weltweit zu Empörung und Aufregung geführt. Die Intervention, darin sind sich die meisten Politiker und Medien einig, sei völkerrechtswidrig, inhuman und gefährlich gewesen. Daran mag ja auch einiges richtig sein.

Trotzdem erstaunt, wie wenig in den westlichen Medien über die Schattenseiten der kurdischen Selbstverwaltung im Norden Syriens berichtet worden ist und wird. Tatsache ist aber auch, dass bereits 2014/15 Human Rights Watch, Amnesty International und Fox News über Menschenrechtsverletzungen in den kurdischen Enklaven berichtet haben. Nicht berichtet wurde auch, dass die dortige syrische Bevölkerung im Großen und Ganzen eher glücklich über die jetzige Präsenz der syrischen Armee ist. Die westliche Welt sollte verstehen, dass die syrische Bevölkerung nie akzeptieren kann, dass das historisch und wirtschaftlich gesehen reichste Gebiet in Syrien von kurdischen Gruppen verwaltet wird. Das nördliche Euphrattal hat keine kurdischen Spuren, das ist das historische Empfinden. Trotzdem werden die Kurden ein Teil der vielfältigen syrischen Bevölkerung bleiben.

Wie wird das ausgehen? Vermutlich wird die von den Türken geforderte Sicherheitszone ein formal syrisches Territorium bleiben, welches auf absehbare Zeit unter starkem türkischen Einfluss steht, in welches die syrischen Flüchtlinge, die derzeit in der Türkei leben, angesiedelt werden.

Das ist, wie der ungarische Außenminister, Péter Szijjártó, jüngst angemerkt hat, im nationalen Interesse Ungarns und letztlich der ganzen EU. Denn je weniger syrische Flüchtlinge in der Türkei leben, umso weniger werden nach Europa drängen – und umso geringer wird das Erpressungspotenzial Erdoğans gegenüber der EU. Dass die EU diese Logik zumindest offiziell verdrängt, ist verständlich, aber wenig redlich.

Warum aber haben die Amerikaner die mit ihnen verbündeten Kurden im Stich gelassen? Wohl auch, weil Donald Trump stets Nutzen und Kosten abwägt. In der Vergangenheit hat er wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass der Schutz und die Unterstützung durch die Amerikaner einen Preis haben – dieser kann auch darin bestehen, dass sich seine Interessen ändern. Erdoğan hingegen geht es vor allem um eine Warnung an die Kurden innerhalb der Türkei, dass er sie mit seiner „eisernen Faust“ niederschlagen würde, wenn sie einen unabhängigen Staat errichteten, obwohl ihre heutigen Wünsche beschränkt auf Autonomie sind.

Außerdem braucht Erdoğan einen klaren Sieg gegen die sogenannten Terroristen, um seine Popularität innerhalb seiner Wähler zu erhöhen, die immer weniger akzeptieren, dass drei Millionen Syrer im Land sind.

Warum haben schließlich die Russen diese Invasion zugelassen, obwohl sie andere Nationen immer wieder aufgefordert haben, das syrische Territorium zu verlassen? Russlands Interesse liegt darin, Einfluss auf das gesamte syrische Territorium zu haben. Ein teilweise unabhängiges kurdisches Gebiet in Syrien steht diesem Interesse entgegen. Russland wird sich deshalb wohl mit den restlichen terroristischen Kämpfern, welche in der nördlichen Stadt Idlib konzentriert sind, beschäftigen und diese schließlich besiegen. Putin wird danach daran arbeiten, den Iran in Syrien aus dem Land zu drängen. Und die EU wird sich langsam daran gewöhnen müssen, Herrn Assad demnächst wieder als den legitimen Präsidenten des Landes zu akzeptieren – das erklärt die baldige Eröffnung einer ungarischen Botschaft in Damaskus.

Die dazu notwendigen Verrenkungen werden ein wenig erfreulicher Anblick sein.

Rasha Corti (*1982 in Raqqa, Syrien) lebt seit 2009 in Österreich als Fremdenführerin und ist Mitglied des Expertenrats für Integration.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)

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