Geschichte

Angelsächsisch? Das wird man bald nicht mehr sagen dürfen

Alfred der Große (hier im Kampf gegen dänische Wikinger) beanspruchte im neunten Jahrhundert ganz bewusst den Titel eines „angelsächsischen Königs“.
Alfred der Große (hier im Kampf gegen dänische Wikinger) beanspruchte im neunten Jahrhundert ganz bewusst den Titel eines „angelsächsischen Königs“.(c) imago images / Design Pics
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Eine kanadische Historikerin fordert, den „rassistischen“ Begriff „anglo-saxon“ zu verbannen und durch „early English“ zu ersetzen. Eine Mehrheit ihrer Kollegen stimmt ihr zu, aber es regt sich auch heftiger Widerspruch – und bei britischen Boulevardmedien rümpft man die Nasen.

Uns, die wir nicht mit englischen Zungen sprechen, war „angelsächsisch“ schon immer suspekt. Warum kann man, was aus englischsprachigen Ländern kommt, nicht auch einfach unter englischsprachig subsumieren? Jetzt kommt es auch jenen seltsam vor, von denen wir „anglo-saxon“ übernommen haben – aber nicht aus nüchterner Sprachlogik, sondern als Postulat politischer Korrektheit: Der Begriff sei rassistisch, müsse verbannt und durch „early English“ ersetzt werden, fordert die Mediävistin Mary Rambaran-Olm.

In Campus-Kreisen, die feines Erfühlen möglicher Verletzbarkeiten zum täglichen Geschäft gemacht haben, köchelt die Debatte schon länger. Aber die streitbare junge Kanadierin geht nun in die Offensive: Jüngst verließ sie die International Society of Anglo-Saxonists, deren Vizepräsidentin sie war, und rief den Exkollegen nach, ihre Forschung triefe vor „Sexismus, Rassismus und Borniertheit“. Schon wegen des Terminus „angelsächsisch“, der von weißen Suprematisten seit Jahrhunderten benutzt werde, um „rassistische Gewalt und kolonialistischen Völkermord“ zu rechtfertigen. Vielleicht hat sie die in der Gesellschaft Verbliebenen mit ihrem Furor eingeschüchtert, jedenfalls stimmen sie dem Aufruf zum Bann zu 60 Prozent zu. Was nun auch britische Boulevardmedien wie „Sun“ und „Express“ darüber berichten lässt, damit sich ihre Leser über den von Geisteseliten verordneten Maulkorb ereifern können.

Ganz aus der Luft gegriffen ist der Vorwurf freilich nicht: Populär wurde der Begriff erst um 1700 herum, und er diente dazu, weiße Menschen mit ihren Wurzeln zu verbinden, auch mit ihrem Erbe als tollkühne Krieger. Um in Amerika mitreden zu können, musste man zudem lange evangelischen Glaubens sein, also ein „white anglo-saxon protestant“ oder WASP. Und Adolf Hitler bewunderte die Briten für ihre „angelsächsische Entschlossenheit“, Indien zu unterjochen. Kein Wunder also, dass dieses Wort für viele einen bitteren Beigeschmack hat. Nur lässt sich ein so fest etablierter Begriff schwerlich aus der Welt schaffen, nur weil er mitunter missbraucht wird. Es sei denn, er ist ohnehin nicht korrekt – und darüber tobt nun der akademische Streit.

Nur zwei von vielen Stämmen

Wo Rambaran-Olm recht hat: Die Angeln und die Sachsen waren nur zwei von vielen germanischen Stämmen aus Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, die sich ab dem fünften Jahrhundert unabhängig voneinander in „Englelond“ niederließen – man denke an die Jüten und Friesen. Teils eroberten sie das Land, teils wurden sie als Söldner angeworben, um gegen Schotten und Iren zu kämpfen. Sie übernahmen allmählich die Macht von den Römern, die sich die Insel zuvor geschnappt hatten, und vermischten sich mit Briten römischer Abstammung, die aus der Sicht vieler Historiker die genetische Dominanz behielten. Bis 1066 die Invasion der französischsprachigen Normannen die „Dark Ages“ (ein bereits geschmähter Begriff) beendete und eine neue Epoche der Durchmischung einläutete. Aber Rambaran-Olm unterschlägt, worauf ihr Kollege Tom Holland pocht: Alfred der Große beanspruchte im neunten Jahrhundert ganz bewusst den Titel eines „angelsächsischen Königs“, um die auf der Insel lebenden Völker mit diesem Banner unter seiner Herrschaft zu einen. Dabei halfen ihm die Schriften des heiligen Beda, der von einer Invasion der Angeln, Sachsen und Jüten berichtete. Letztere wurden im Begriff untern Tisch gekehrt, was nicht stören sollte, weil es die gemeinsame Eroberung nie gab.

Aber die Legende, schreibt Holland, „musste nicht wahr sein, um einen starken Einfluss auf die Schaffung einer Identität zu haben, die tatsächlich angelsächsisch genannt werden kann“. Weshalb es Historikern erlaubt sein müsse, den Begriff zu verwenden. Ihn verbieten zu wollen sei „verrückt wie ein Sack voller Frettchen“ – wie man in „Early England“ zu sagen pflegte.

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