Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sieht eine verpflichtende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, wenn jemandem der Verlust seiner Unionsbürgerschaft droht.
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach bei drohendem Verlust der Unionsbürgerschaft immer eine sogenannte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist, wird gerade vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof (VwGH) geprüft und dürfte weitreichende Folgen für Doppelstaatsbürger haben. Etwa für Literaturnobelpreisträger Peter Handke, der angeblich im Besitz der Staatsbürgerschaft des ehemaligen Jugoslawien sein soll, womit er seine österreichische Staatsbürgerschaft – mit dem Erwerb der jugoslawischen – automatisch („ex lege“) verloren hätte. Doppelstaatsbürgerschaften sind in Österreich grundsätzlich nicht erlaubt und werden nur in seltenen Fällen bewilligt.
Zum EuGH-Urteil, das im März ergangen ist, kam es nach der Ausbürgerung eines Niederländers, der auch im Besitz der Staatsbürgerschaft eines Nicht-EU-Landes (Drittstaates) war und länger als zehn Jahre im Ausland gelebt hatte. Sein Fall landete vor dem europäischen Höchstgericht.
Weil der Verlust der niederländischen Staatsangehörigkeit auch zum Verlust der Unionsbürgerschaft führt, entschieden die Richter des EuGH, dass bei jedem Betroffenen die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen ist. Die Frage also, ob der Verlust insbesondere in Bezug auf das von der EU-Grundrechtecharta geschützte Recht des Privat- und Familienlebens – für die Betroffenen selbst und für ihre nahen Angehörigen – verhältnismäßig ist.
Familie und Verdienste um die Republik
Die Kriterien der Verhältnismäßigkeit umfassen Faktoren wie die familiäre Verwurzelung in dem jeweiligen Land sowie die Möglichkeit, Bindungen mit Familienmitgliedern aufrechtzuerhalten. Außerdem gilt es zu berücksichtigen, ob die ausgebürgerte Person weiterhin ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen kann und ob eine ernsthafte Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung der Sicherheit oder (Bewegungs-)Freiheit besteht, weil die Betroffenen keinen konsularischen Schutz mehr in Anspruch nehmen könnten. Auch etwaige Verdienste um die Republik würden in die Entscheidung miteinfließen.