Infrastruktur

Nationale Versäumnisse bremsen Potenzial

Tag des offenen Tunnels 2019
Tag des offenen Tunnels 2019(c) Brenner Basistunnel BBT SE/ APA-F
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Der Brenner-Basistunnel wird nicht mit einem Schlag große Teile des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene bringen. Der Ausbau von Zubringerstrecken und Terminals hinkt hinter dem Jahrhundertprojekt nach.

Tief in den Bergen zwischen Nord- und Südtirol arbeiten riesige Maschinen und erfahrene Tunnelbauer an einem Weltrekord: Der Brenner-Basistunnel wird nach seiner Fertigstellung im Jahr 2027 mit einer Gesamtlänge von 64 Kilometern der längste der Welt sein. Selbst wenn man den Hauptteil allein nimmt, schafft er mit 55 Kilometern nach dem Gotthard-Basistunnel den zweiten Platz unter den Eisenbahntunnels. Knapp zehn Milliarden Euro investieren Italien, Österreich und vor allem die Europäische Union in das Großprojekt.

Schließlich soll der Brenner-Basistunnel das Herzstück des Scan-Med-Eisenbahnkorridors sein, der mit eine Länge von 9300 Kilometern von Finnland über Schweden, Dänemark, Deutschland und Österreich bis zur Südspitze Italiens reicht. Für die vom Lkw-Verkehr geplagten Tiroler entlang der Brennerautobahn – im Vorjahr fuhren dort mehr als 2,5 Millionen Lastwagen – verspricht der Tunnel eine massive Erleichterung. Die neue Verkehrsverbindung ist auf eine Kapazität von mehr als 260 Zügen pro Tag ausgelegt, die doppelte Kapazität der derzeitigen Brennerbahn. Da diese nach Fertigstellung des Tunnels in Betrieb bleiben soll, könnten dann statt heute 136 bis zu 400 Züge pro Tag über und unter den Pass fahren, mehr als die Hälfte davon Güterzüge.

Der Bau schreite planmäßig voran, erzählt Andreas Ambrosi, Pressereferent der Errichtergesellschaft BBT SE: Von der gesamten Tunnelstrecke von 230 Kilometern (zwei Röhren Eisenbahntunnel, Erkundungsstollen und sonstige Bauwerke) seien in diesen Tagen 113 Kilometer geschafft. Das Projekt berge allerdings noch einige Herausforderungen, da das Gebirge geologische schwierige Zonen aufweist, berichtet der Experte.

In Verzug

Diese Schwierigkeiten dürften die Tunnelbauer meistern. Ob das bei den anderen Problemen rund um diese Verkehrsverbindung der Fall sein wird, steht aber noch in den Sternen. Schon seit Jahren wird kritisiert, dass das Milliardenprojekt allein kaum dazu beitragen wird, wesentliche Teile des Güterverkehrs auf die Schiene zu bringen. „Eine echte Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene funktioniert nur dann, wenn die Zubringer zum Brennertunnel funktionieren“, sagt Oliver Wagner vom Zentralverband Spedition & Logistik. Und da hapert es sowohl nördlich als auch südlich von Österreich. Zwar haben Österreich und Deutschland schon 2012 vereinbart, die Zubringerstrecke zwischen Rosenheim und Kufstein auszubauen. Aber, so Kritiker, das Interesse der deutsche Bahn halte sich noch immer in Grenzen. Auf der derzeitigen Strecke durch das deutsche Inntal fahren knapp 200 Personen- und Güterzüge täglich, die maximale Kapazität soll bei circa 240 Zügen liegen, also bei nur knapp 60 Prozent der am Brenner möglichen Anzahl.

Durch Digitalisierung der Strecke – so das Projektteam Brenner-Nordzulauf, in dem Deutsche Bahn und ÖBB kooperieren – soll dieses Maximum erreicht und damit die „unmittelbar nach der Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels erforderlichen Kapazitäten bereitgestellt werden“. Eine neu zu bauende Strecke, die bei den Anrainern auf wenig Begeisterung stößt, befindet sich im Planungsstadium. Sechs Varianten stehen zur Wahl. Erst 2038, zehn Jahre nach Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels, soll die Neubaustrecke fertiggestellt sein.

Fehlende Terminals

Die schaumgebremsten Kapazitätserwartungen der Deutschen Bahn für die ersten Jahre des Brenner-Basistunnels könnten sich durchaus bewahrheiten. Aber nicht wegen mangelnden Interesses der Transporteure. Neben den Zuläufen mangelt es nämlich auch an entsprechender Terminalstruktur, um die Güter von der Straße auf die Schiene und wieder zurück zu bringen, berichtet Wagner: „Auf deutscher Seite wurden Projekte massiv zurückgefahren, und auch in Österreich und Italien sind nicht ausreichende Kapazitäten vorhanden, um den Brenner-Basistunnel voll auszulasten.“ Grundsätzlich stehen die heimischen Logistiker dem Großprojekt positiv gegenüber: „Der Brenner-Basistunnel ist eine große, im Vergleich zur Nutzungsdauer durchaus sinnvolle Investition“, meint Roman Stiftner, Präsident Bundesvereinigung Logistik. Aber auch er sieht die Notwendigkeit, sowohl die Zulaufstrecken als auch die Hubs möglichst rasch entsprechend der Kapazität des Brennertunnels auszubauen. Den Schienentransport generell bremsen in Europa seiner Meinung nach wie vor nationale Interessen. „Der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr ist ein Thema, beim dem wir die Europäische Union brauchen, um die Harmonisierung voranzutreiben und zu Lösungen zu kommen.“

Röhren über Kreuz

Beim Brenner-Basistunnel selbst sorgt übrigens eine technisch aufwendige bauliche Lösung für den Ausgleich nationaler Unterschiede in den europäischen Bahnsystemen: Im Bereich Innsbruck werden die beiden Tunnelröhren übereinander gekreuzt. Auf der Schiene fährt man in Italien nämlich links, hierzulande aber rechts. Durch die gekreuzten Röhren kommen die Züge in den jeweiligen Bahnhöfen auf der richtigen Seite an.

AUF EINEN BLICK

Der Brenner-Basistunnel wird nach seiner Fertigstellung der längste Tunnel der Welt sein. Seine gesamte Länge erstreckt sich über 64 Kilometer, seine Kapazität ist auf 260 Züge pro Tag ausgelegt. Die Fertigstellung des österreichisch-italienischen Gemeinschaftsprojekts ist für 2027 geplant, die Inbetriebnahme für 2028. Die Kosten werden mit rund zehn Milliarden Euro veranschlagt. Während man mit dem Tunnelbau im Plan liegt, gibt es große Versäumnisse bei Zubringerstrecken und Terminals, vor allem in Bayern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2019)

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