Gastkommentar

Die Lehren aus der Wahl in Spanien

(c) Peter Kufner
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Am Sonntag wurde die rechtsextreme Partei VOX zur drittgrößten politischen Kraft in Spanien. Was uns dieser rasante Aufstieg über den Umgang mit rechtspopulistischen Parteien in Europa erzählt.

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Sowohl Matteo Salvini als auch Marine Le Pen beeilten sich noch am Sonntagabend, Santiago Abascal, dem Chef der rechtsextremen spanischen Partei VOX, zu dessen erstaunlichem Erfolg bei der Parlamentswahl zu gratulieren. Die extreme Rechte Europas hat zweifelsohne allen Grund, Abascals Ergebnis zu bejubeln.

Bei der Wahl 2016 erhielt VOX 46.638 Stimmen (0,2 Prozent) und keine Parlamentssitze – weniger als drei Jahre später kam die Partei am Sonntag auf 3.640.063 Stimmen (15,09 Prozent) und 52 Sitze. Damit wurde sie die drittgrößte politische Kraft in Spanien – hinter den Sozialisten (PSOE) und den Konservativen (PP), aber noch vor der linksgerichteten Partei Podemos unter der Führung von Pablo Iglesias und der Zentrumspartei Ciudadanos unter Albert Rivera. Damit übertraf VOX die 10,97 Prozent, die die Partei bei der Regionalwahl in Andalusien im Dezember 2018 erhielt, und die 10,26 Prozent und 24 Parlamentssitze, die sie bei der Parlamentswahl im vergangenen April bekam.

„Spaniens Ausnahme“

Das außergewöhnliche Ergebnis von Abascals Partei setzt der sogenannten spanischen Ausnahme ein Ende. So bezeichneten Beobachter der spanischen Innenpolitik die Tatsache, dass es in Spanien keine größere rechtsextreme Partei jenes Typs gab, der sich in anderen europäischen Demokratien im vergangenen Jahrzehnt entwickeln oder konsolidieren konnte.

Für diese Ausnahme gab es mehrere Erklärungen: zum Beispiel, dass die Bürger des Landes vor nicht allzu langer Zeit unter einem autoritären und nationalistischen Regime lebten. Und dass die Einstellung gegenüber Zuwanderern im Vergleich zu anderen europäischen Ländern fast ausschließlich positiv war. Daher waren Elemente des Populismus fast nur in Parteien an den politischen Rändern auszumachen, darunter Podemos und in Katalonien bei der Linkspartei ERC sowie der rechten Gruppierung JxCat. Die beiden letztgenannten Parteien treten für eine Abspaltung von Spanien ein und haben sich Themen sowie Methoden der britischen Brexit-Befürworter zu eigen gemacht.

Die Motive der rechtsextremen Parteien in Europa mögen einander mehr oder weniger ähneln. Doch die Wahlkampf- und Mobilisierungsstrategien von PiS in Polen, der AfD in Deutschland, des Front National in Frankreich und der Lega in Italien weisen grundlegende Unterschiede auf. Bisher standen die politischen Führer von VOX Marine Le Pen ablehnend gegenüber. Und sie störten sich an Salvinis früherer Unterstützung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Das erklärt, warum die EU-Abgeordneten von VOX der Allianz der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) beitraten und nicht der Fraktion Identität und Demokratie (ID) von Le Pen und Salvini.

Grund für Aufstieg: Katalonien

Dennoch handelt es sich bei VOX um eine Partei, die so wie jede andere rechtsextreme Partei heute stark nationalistisch, konservativ, zuwanderungs- und europafeindlich ist. VOX teilt die zutiefst souveränistischen Charakterzüge ähnlicher politischer Kräfte in Europa. Doch der wahre Grund für den Aufstieg der Partei ist Katalonien. VOX ist in gewisser Weise der größte Profiteur der Politik jener katalanischen Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten. Diese schafften es nicht, die Mehrheit der Katalanen auf ihre Seite zu ziehen, sie sind untereinander zutiefst gespalten, und es fehlt ihnen jegliche internationale Unterstützung. Daher ist ihre größte Errungenschaft, eine schlummernde oder zuvor nicht existente Form von Nationalismus zum Leben erweckt zu haben.

Seit Beginn der katalanischen Krise 2017 war es die dort gegründete liberale Partei Ciudadanos unter Albert Rivera, die sich gegen nationalistische katalanische Auswüchse stellte und damit erfolgreich unzufriedene Wähler sowohl der Sozialisten als auch der Konservativen anzog.

Zurück zur Fahne

Diese Wähler hatten den Eindruck, dass die etablierten Zentrumsparteien nicht genug taten, um die Integrität und Würde der spanischen Nation zu verteidigen. Ciudadanos agierte als Vorreiter, wenn es darum ging, das öffentliche Zurschaustellen spanischer Symbole, insbesondere der Fahne, wieder akzeptabel zu machen. Das Gleiche galt für jene, die nach Langem wieder ihren Stolz zeigen wollten, sich spanisch zu fühlen. Davor scheuten jahrzehntelang nach der Franco-Ära in Spanien viele zurück.

Im Allgemeinen offenbart Spanien einige interessante Einsichten in die Fehler vieler etablierter Zentrumsparteien. Im Falle der Konservativen besteht kein Zweifel, dass die Partei Casados eine wichtige Rolle beim Aufstieg von VOX spielte. Als VOX im vergangenen Jahr immer mehr Zuspruch erhielt, grenzten sich die Konservativen nicht ab, sondern übernahmen einige der politischen Ideen und die Diktion von VOX – insbesondere bei den Themen Zuwanderung und spanische Nation. Sie versprachen, im Falle einer Machtübernahme die Autonomie Kataloniens dauerhaft auszusetzen, was die eigenen Wähler weiter radikalisierte.

Nach den Regional- und Lokalwahlen im Mai dieses Jahres nutzten die Konservativen die Stimmen für VOX, um entweder an die Macht zu kommen oder an dieser zu bleiben. Damit trugen sie zur Legitimierung der Partei bei und verbreiteten die Botschaft, dass eine Stimme für VOX keine verschwendete ist. Sie signalisierten damit außerdem, dass sie nicht ins Zentrum rücken und gegenüber Katalonien nicht nachgiebiger werden würden, wie das der frühere Parteichef Mariano Rajoy getan hatte.

Pedro Sánchez polarisierte

Doch auch Pedro Sánchez, der Chef der Sozialisten und regierende Premier, trug in mehrerlei Hinsicht zum Aufstieg von VOX bei. Indem er die Sozialisten nach links rückte, um Podemos näherzukommen, polarisierte er die Innenpolitik. Dazu kamen seine kompromissbereite Haltung gegenüber dem katalanischen Separatismus sowie die ungeschickte Exhumierung von General Franco, die er mehr als Parteiveranstaltung für Wahlzwecke inszenierte denn als Ereignis, um das Land zusammenzubringen. Weiters erwies sich das Ansetzen der vorgezogenen Vorwahl als Fehleinschätzung, denn die Unruhen in Katalonien nützten VOX mehr als den Sozialisten. Im April gingen viele Wähler zu den Urnen, um VOX aufzuhalten. Im November blieben viele Wähler zu Hause oder stimmten aus Protest für VOX.

Strategische Fehler

Während die Partei bei dieser Wahl also vom katalanischen Separatismus profitierte, so waren es auch die strategischen Fehler der politischen Führer der Konservativen und der Sozialisten, die ihr einen Aufstieg ermöglichten.

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