Reportage aus Rumelan (Nordsyrien)

Die jesidischen Kinder, die keiner will

In seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Jesiden versklavte der IS einst Tausende Frauen. Viele von ihnen sind mittlerweile zu ihren Familien zurückgekehrt. Die Kinder, die aus den Qualen entstanden sind, mussten zurückbleiben.

Im Schatten einer mit Weinreben zugewachsenen Pergola schlafen Babys selig auf ihren Kissen oder nuckeln mit schon halb geschlossenen Augenlidern an der Milchflasche. Im Garten tollen Vierjährige über den Rasen. Andere wackeln einem auf unsicheren Beinen mit einem neugierigen Lächeln und ausgestreckter Hand zur Begrüßung entgegen. Auf den ersten Blick ist es ein Kinderidyll an einem dieser warmen Herbstnachmittage in Nordsyrien.

Aber Haus und Garten liegen mitten auf einem gesicherten Militärgelände der Erdölförderstadt Rumelan. Die einzigen Nachbarn sind Soldaten und Geheimdienstler – das hat seinen Grund. Denn die Kinder, die hier leben, sind keine gewöhnlichen Kinder. Ihre Väter sind IS-Kämpfer, ihre Mütter Jesidinnen, die von der Terrormiliz entführt und über Jahre als Sexsklavinnen vergewaltigt wurden.

„Verletzt und ausgezehrt“

Insgesamt sind es 41 Kinder, von denen die meisten aus der letzten IS-Bastion in der Stadt Baghus stammen, die im März erobert wurde. „Viele waren verletzt, von Hunger und Durst ausgezehrt“, erinnert sich Ziad Afdal, der als Leiter des lokalen Jesiden-Hauses für die Kinder die Verantwortung trägt. In der Einrichtung, die außerhalb der Stadt liegt, fanden die Frauen und Kinder nach ihrer Befreiung als erstes Unterschlupf. „Die Mütter sind mittlerweile zu ihren Familien zurückgekehrt, aber die Kinder sind geblieben“, sagt der jesidische Scheich mit einer Miene des Bedauerns.

Die Frauen mussten die Kinder zurücklassen. „Der Nachwuchs von fremden Vätern wird von der Familie und der gesamten Gemeinschaft nicht akzeptiert“, sagt Afdal. So seien eben die Regeln der Jesiden, schon seit Hunderten von Jahren. „Ich weiß, es sind unschuldige Kinder, und sie können nichts dafür“, räumt er ein, „aber in ihren Gesichtern erkennen die Frauen Tag für Tag ihre Peiniger wieder“. Das könne man niemandem zumuten. „Und was ist, wenn die Kinder, die man aufnimmt, dann als Erwachsene den Ideen ihres extremistischen Vaters folgen?“, gibt der noch junge Scheich zu bedenken. „Dann haben wir in unseren eigenen Reihen Monster großgezogen, die uns erneut auslöschen wollen.“

Der Schock und die Angst sitzen noch tief seit dem Vernichtungsfeldzug der IS-Terrormiliz gegen die Jesiden. Im August 2014 überrannten die Jihadisten die Heimat der religiösen Minderheit von rund 600.000 Menschen in der Sindjar-Region des Nordirak. Die Islamisten hielten die Jesiden für „Teufelsanbeter“, dabei waren sie eine der ersten monotheistischen Glaubensgemeinschaften.

Die IS-Kämpfer erschossen Tausende und verscharrten die Leichen mit Planierraupen in Massengräbern. Bis zu 6000 junge Frauen und Mädchen verschwanden als Sklavinnen im Kalifat. Von vielen fehlt noch immer jede Spur. Der Schrecken des Genozids, von dem die UNO spricht, hat sich fest in die jesidische Seele eingebrannt.

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