In der Nacht auf Mittwoch ist der höchste Wasserstand in der Lagunenstadt seit 1966 gemessen worden. In der Stadt gibt es schwere Schäden. Auslöser sind starke Winde und Regen.
Venedig. Giovanni Di Giorgio kann es kaum fassen. „Diese Bilder sind beängstigend. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas je sehen werde“, sagt der 26-jährige Venezianer beim Anblick seiner Heimatstadt. In der Nacht zum Mittwoch wurde Venedig vom schlimmsten Hochwasser seit mehr als 50 Jahren heimgesucht. Nur sieben Zentimeter trennten zuletzt die gemeldeten Wasserstände vom Rekord von 1966.
Doch was sind in diesem Fall einige Zentimeter. „Die Flut ist genauso schlimm wie damals“, sagt Bürgermeister Luigi Brugnaro am Mittwochmittag mit zermürbtem Gesicht. 1,87 Meter Hochwasser meldete man in der Nacht auf Mittwoch. Mindestens ein Mensch ist ums Leben gekommen; er soll einen Stromschlag bekommen haben, als er versuchte, die Lenzpumpe seines Hauses einzuschalten.
Die Venezianer sind es gewohnt, dass ihre Stadt überschwemmt wird. Das „Acqua alta“ kommt jedes Jahr im Herbst und Winter, wenn starker Wind die Adria in die von Kanälen durchzogene Welterbe-Stadt drückt. Dazu kam dieser Tage starker Regen in fast ganz Italien. Gummistiefel zählen zwar zur Standardausstattung der Venezianer. Doch bei einem Wasserstand von 1,87 Metern über normal helfen auch diese nicht mehr weiter.
Markusdom unter Wasser
Luca Zaia, Präsident der Region Venetien, spricht von „apokalyptischen Zerstörungen“, „Venedig ist auf den Knien“, sagt Bürgermeister Brugnaro. Die Stadt erlebe eine Situation, „die unauslöschliche Spuren hinterlassen wird“. Es gibt schwere Schäden, so stand der Markusdom samt Krypta unter Wasser. Videos zeigen, wie die Vaporetti, die Wasserbusse auf Venedigs Kanälen, ans Ufer krachen. Mindestens 60 Boote wurden beschädigt, drei sollen gesunken sein.
Brugnaro macht für alles den Klimawandel verantwortlich. Wissenschaftler warnen seit Langem, dass Erderwärmung und Anstieg der Meere für die Lagunenstadt Folgen haben würden. Zudem sackt der Boden Venedigs langsam ab, woran unter anderem das Ausbaggern der Fahrrinnen für immer größere Schiffe Schuld trage.
Einen wirklichen Schutz vor dem Meer gibt es für Venedig naturgemäß nicht. Bereits vor Jahren wurde eine Flutsperre initiiert. Barrieren im Meer sollen bei Hochwasser ausgefahren werden und damit die Stadt schützen. Das Projekt mit dem Namen „Mose“ ist wegen Korruptionsskandalen und einer Explosion der Kosten ins Stocken geraten, Umweltschützer waren ohnehin stets dagegen: Sie glauben, dass das heikle System der Lagune dadurch nur noch mehr gestört werde.
Besserung angedeutet
Am Mittwochmorgen gab es in Venedig eine weitere Flutwelle, das Wasser stieg erneut auf 1,60 Meter über Normalwert. Doch am Mittag wateten wieder Menschen über den Markusplatz.
Ja, das Wasser sei weniger geworden, bestätigt Giovanni Di Giorgio, ein junger Musiklehrer für Violine, als er am Nachmittag von der Arbeit nach Hause kommt. In seinem Viertel Sestiere di Castello wollte er zum Feierabend hin wieder mitanpacken bei Hilfseinsätzen. „Die Leute helfen einander. In diesem Moment sind wir Venezianer uns sehr nah“, sagt er gerührt. „Alle sind hier und helfen, die Läden und Geschäfte in den Untergeschoßen wiederherzurichten. Es gibt so viel Zeug, das weggeräumt und entsorgt werden muss.“
LEXIKON
Acqua alta ist das jährlich im Herbst und Winter typische Hochwasser in Venedig, erzeugt durch erhöhten Pegelstand der Adria und Winde von See her, dauert aber in der Regel nur mehrere Stunden. Acqua alta herrscht ab 90 Zentimeter über dem normalen Wasserstand, bei 140 cm sind 90 Prozent der Stadt überschwemmt.