Wissenschaft

Wie wir den Klimawandel unterschätzt haben

Warum hat der Weltklimarat die Folgen der Erderwärmung anfangs zu harmlos beurteilt? Es lag an einem falschen Paradigma über das mögliche Tempo – und einer Gruppendynamik, die nicht nur Forscher betrifft.

Manchmal lohnt es sich, ein wenig zurückzuschauen, um klarer nach vorn zu sehen. Im Jahr 1990 veröffentlichte der noch junge Weltklimarat der Vereinten Nationen seinen ersten Bericht. Wer ihn liest, den macht die gelassene Tonalität fast nostalgisch: Ja, der Mensch verstärke den natürlichen Treibhauseffekt, aber dafür gebe es „nur wenige empirische Belege“, und ein eindeutiger Nachweis sei so bald nicht zu erwarten. Den Temperaturanstieg der vergangenen 100 Jahre könne man auch durch natürliche Schwankungen erklären. Wenn man Schritt für Schritt Gegenmaßnahmen setze, lasse sich die Erwärmung auf 0,1 Grad Celsius pro Jahrzehnt beschränken. Die Permafrostböden? Keine Gefahr, dass sie schmelzen und große Mengen an Methan frei werden. Das Eisschild in der Antarktis? Ist stabil. Auf dieser Basis kalkulierten Ökonomen die wirtschaftlichen Folgen: gering. Und die Politiker taten vorerst: nichts.

Aus heutiger Sicht haben die Wissenschaftler, denen manche Panikmache vorwerfen, den Klimawandel also eher unter- als überschätzt. Zum Teil lässt sich das aus der Datenlage erklären. Warum wurde es in den 1960er- und 1970er-Jahren, als die CO2-Emissionen massiv stiegen, kälter statt wärmer? Das lag (auch) daran, dass die ebenfalls steigende Belastung mit Schadstoffen wie Schwefeldioxid kühlend wirkte und den Trend verdeckte. Erst als in den 1980er-Jahren die Politik weltweit auf Basis des Helsinki-Protokolls Smog und saurem Regen den Kampf ansagte, stiegen die Temperaturen.

Social media image of a kookaburra perching on a burnt tree in the aftermath of a bushfire in Wallabi Point, Australia
Social media image of a kookaburra perching on a burnt tree in the aftermath of a bushfire in Wallabi Point, AustraliaAdam Stevenson/via REUTERS

Der Schockeffekt der Eisbohrkerne

Vor allem aber verharrten die Forscher in der Überzeugung, dass sich globale Durchschnittstemperaturen nur über lange Zeiträume deutlich ändern, abgesehen von sehr seltenen und unvorhersehbaren Ereignissen wie Meteoriteneinschlägen oder großen Vulkanausbrüchen. Sonst dauere es Jahrtausende, zumindest Jahrhunderte. Das gebe das gemächliche Tempo vor, in dem sich die Erdachse verschiebt, die Umlaufbahn ändert oder Kontinentalplatten driften. Dieses Paradigma zerbrach jäh, als Anfang der Neunzigerjahre zwei große Eisbohrkerne aus der Arktis gewonnen wurden. Sie lieferten ein Archiv des Erdklimas, das über 100.000 Jahre verlässlich abdeckt. Kleine Luftbläschen im Eis verraten die Konzentration von Treibhausgasen in längst vergangenen Epochen;
das Verhältnis von Sauerstoffisotopen die damaligen Temperaturen. Klar zeigte sich: Es gab in der Klimageschichte Dutzende rascher Änderungen, in einem Zeitraum weniger Jahrzehnte oder gar Jahre.

In Warmzeiten ist mehr CO2 und Methan in der Atmosphäre als in Eiszeiten. Das auslösende Element waren früher kleine Temperaturänderungen, heute zusätzliche Treibhausgase. Was zuerst da ist, spielt keine große Rolle, denn in der Folge passieren ähnliche Rückkopplungen, bei denen sich beides rasch hochschaukelt. So kamen die Kipppunkte ins Spiel, die heute in aller Munde sind, vom westantarktischen Eisschild bis zum Regenwald in Amazonien.

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