Rallye

Michèle: Eine außergewöhnliche Frau im Motorsport

Gar so viel hat sich in den Jahrzehnten nicht geändert. Michèle Mouton bleibt eine besondere Erscheinung.

Die Rallyes waren besser als Racing, ehrlicher, aufregender, und sie wurden auch viel deutlicher wahrgenommen als heute. In dieser guten Zeit der 1980er-Jahre war man auch unglaublich locker, was die Zuschauer betraf. Es gab kaum Absperrungen, was vor allem in Monte Carlo, Italien, Portugal und Korsika zu Volksfesten mit Rodeo-Einlagen führte. Der erste tödliche Unfall sollte erst 1986 passieren, dann war der Zauber natürlich vorbei.

Wir reden aber noch von der unschuldigen Zeit, etwa 1981. Die Rallye San Remo war ein wichtiger WM-Lauf, die Strecke führte zu absolut sagenhaften Schotterstraßen der Toskana. Die italienischen Zuschauer empfanden die Vorbeifahrt eines wacker geführten Rallyeautos ziemlich tief, heilige Erregung schoss ihnen in die Gliedmaßen. In diesem Moment, wenn im Idealfall ein Lancia über die Kuppe hüpfte, waren sie alle eine große Familie, und selbst wir Fremden durften teilhaben an diesem unendlichen Glück, genossen auch körperliche Berührung und Freundeshände auf unseren Schultern. Der Mann, der das Nahen seines Lieblingsporsche in Fahrbahnmitte erwartete, kippte kurz vorm Überfahrenwerden mit einem beglückten Schrei auf die Seite und schlug nun, erschöpft, unter leisem Wimmern die flachen Hände mehrmals gegen die toskanische Erde.

Neu im Zirkus war ein Werksteam von Audi mit den ersten Allradlern, die damals nur Quattro hießen (und heute als Ur-Quattro verehrt werden). Das Werk wollte vorerst den berühmtesten Fahrer jener Tage gar nicht haben: Der große Walter Röhrl hätte in der Wahrnehmung zu sehr vom Produkt abgelenkt. Der Finne Hannu Mikkola war da eher neutral, und die Französin Michèle Mouton, naja, war ganz offensichtlich eine Frau, sehr exotisch für die oberste Liga. Man begegnete ihr höflich bis freundlich, neugierig sowieso. Es war ja schon zwanzig Jahre her, als eine Frau die besten Männer biegen konnte, das war Pat Moss, zufällig halt die Schwester des Stirling Moss.

Die erste Saison mit Audi lief durchwachsen, ganz normal für ein Newcomerteam, das seine technischen Schwachpunkte aussortieren musste. Dann San Remo mitsamt Toskana und dem flirrenden Irrwitz von Licht und Hitze und den Fans, die wie Derwische auf den Schotterstraßen tanzten.

Michèle Mouton war von Anfang an vorn dabei, erlebte den Ausfall von Walter Röhrl (Porsche) und stand im Fight mit Ari Vatanen. Seltsamerweise fragte man sich, ob ihre Nerven halten würden, keiner sorgte sich um die Nerven eines finnischen Mannsbilds. Wie auch immer: Der Audi hielt, die Nerven hielten, und die Medien schalteten dankbar auf Hype, als es wieder zurück nach San Remo ging, zur Zielrampe am Kai. Auffallend in den Minuten vor dem Zieleinlauf war die herzhafte Unruhe unter denen, die deutlich als Bayern oder Umgebung erkennbar waren.
Die Tifosi waren gerührt. Eine deutsche Firma, die mit solch fröhlicher Inbrunst zu feiern versteht und sich so prächtig einfügt in die mediterrane Kulisse! Man bat die wohl zwei Dutzend Audi-Mechaniker durch die Absperrungen, dann schwappten sie über die Zielrampe, und jeder von ihnen kriegte ein Stück Quattro zu fassen, wurde mit Champagner geduscht und bekam Gladiolen um die Ohren, je nach den Bewegungen der beiden Mädchen in der Mitte. Der Lautsprecher plärrte „Forza Ragazze“, die Fans jubelten, die Mädchen winkten und die Männer heulten, wie das halt so war in diesen verkehrten Zeiten. Es war ein Sieg zum Erinnern, einer, an dem alles passte.

Vor allem für die Medien. Eine Frau schlägt die besten Männer, daran konnte man sich abarbeiten, mit unterschiedlichen Vor­zeichen.
Die Machovariante (etwa bei Audi und allen Bayern unter der Tuchent) zielte auf die Überlegenheit des Produkts, quasi: Mit dieser fantastischen neuen Technologie könne sogar eine Frau gewinnen.
Sonst fand man Gefallen an dieser neuen, „modernen“ Situation, die einen smarten Twist in die Frauen-können-nicht-einparken-Unterhaltung brachte: Kann man Autofahren, auch extremes Autofahren, völlig genderneutral (damals sagte man: nicht geschlechtsspezifisch) betrachten? Fantastischer Stoff für Stammtische und die eben erblühenden Talkshows.

Michèle, manchmal wütend, manchmal gottergeben, hatte eine Standardantwort auf dumme Fragen parat: Ja, sie sei gern Frau, ja, sie wolle heiraten und Kinder kriegen. Von Beruf sei sie Rallyefahrer, nicht Rallyefahrerin, und ein Damenpokal mache sie wütend, weil es ja auch keinen Herrenpokal gebe. Körperliche Nachteile sehe sie nicht, sie habe Kraft genug und Ausdauer sowieso, das wisse man ja von Frauen. Auch bei der Psyche sehe sie keinerlei geschlechtsbedingte Nachteile, und auf die Frage nach der Angst des Mädchens vor der nächsten Kurve sagte sie: Manchmal hat jeder die Hosen voll, ob Mann, ob Frau.

Zum Zeitpunkt des San-Remo-Siegs war Michèle Mouton dreißig Jahre alt und hatte eine feine Karriere in Frankreich hinter sich, speziell auf Renault-Alpine, dem Sportwagen für Furchtlose. Michèle kam aus Grasse am Rand der südfranzösischen Seealpen. Wer dort Auto fahren lernt, kriegt ein Gefühl vom Drehwurm der Straßen, vom unverhofften Drift auf der ersten Eisplatte im Oktober und vom Augenmaß für den Sportsfreund hinter der blinden Kurve. Der gesunde Teint, die dunklen Augen, die schwarze Mähne passten ins Klischee einer Südfranzösin, der man nicht erst die Welt zu erklären versuchen sollte.

Für den Audi-Vertrag holte Mouton die Italienerin Fabrizia Pons als Beifahrerin an Bord, sie wurde zur ordnenden Kraft im Gemenge von Professionalität und Emotionen in einer, unverändert, Männerwelt.
Rallyes hatten damals noch nicht das fernsehgerechte Format von Kurvenakrobatik, sondern führten oft tage- und nächtelang ins Abenteuer. Bei einer solchen Gelegenheit, Elfenbeinküste 1982, verpasste Mouton den Weltmeistertitel. Nach dreitausend Kilometern von Heldinnenstorys mit zerlempertem und wiedergeflicktem Auto im Urwald, auf den hartgebackenen Rillen der Holztransporterstraßen, die nach dem Gewitter zu Schlammtümpeln werden, naja, irgendwann schmiss sie das Auto weg. Weltmeister wurde Walter Röhrl auf Opel, was die Audi-Community natürlich doppelt ärgerte.

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Zu dieser Zeit wurde unheimlich viel über Michèle Mouton geschrieben, über das Frausein, das Gasgeben und die Männerwelt – man war ja noch Lichtjahre entfernt von der Schärfe des zukünftigen Wortwechsels. Volkstümliche Blätter, die „Gala“ oder „Bunte“ hießen, erfrischten uns mit der Entdeckung verblüffender Gegensätzlichkeiten: „Der Teufel mit dem Engelsgesicht“, „Die sanfte Wilde“, „Die schwarze Tigerin“, „Der schöne Vulkan“. Auch „Der schöne Satan hinter dem Steuer“ passte ganz gut ins Portfolio. Bei Audi war man zwar überglücklich über das Ausmaß an Publicity, aber vom Inhalt war der nicht sportliche Anteil doch ziemlich peinlich. Bis auf die Tatsache natürlich, dass sich das Markenimage vom Hosenträger zu cooler Technik verschoben hatte.

Ab Herbst 1982 gab Michèle auf „Frauenfragen“ keine Antwort mehr, sie hatte die Nase voll von dem Getue, und, um Himmels Willen, die Social Media blieben ihr ja noch erspart. Nicht erspart blieben ihr Wortmeldungen wie jene in „Cosmopolitan“, wo vom „schönen Vulkan“ gesprochen wurde, der „wieder ausbricht und eine Aschenwolke auf die Häupter der männlichen Rallye-Götter niedergehen lässt.“ Wirklich, echt.
Intern musste man ja auch mit der Erkenntnis klarkommen, „dass sich ein Bayer schwertut, einer Frau zu dienen“ (Teamchef Gumpert, keineswegs aus Bayern). Dramatische Service­aktionen auf freier Wildbahn gehörten zur normalen Folklore des Sports, und wenn da drei Mechaniker in den Motorraum köpfelten und zwei unter dem Differential hingen, war es nicht hilfreich, wenn „die Madame“ zappelig wurde oder gar die Stimmlage erhöhte. „Des geht gar net.“ In der Psychologie-Schulung der 1980er-Jahre hörte sich das so an, dass man einen Menschen, der da so sagenhaft mit Lenkrad und Pedal umgeht, nicht als Mann oder Frau sehen dürfe, sondern als Künstler. Und die sind eben eigen, alles klar?


Michèle Mouton und Fabrizia Pons gewannen drei weitere Weltmeisterschaftsläufe, alle auf Audi Quattro, vor allem aber das heiligmäßige Pikes-Peak-Rennen in den USA. Dieser Berg in Colorado ist in entsprechender Wahrnehmung die leicht abgeschmirgelte Version des Nanga Parbat – mit dem sagenhaften Vorteil, dass man mit dem Auto bis zum Gipfel kommt.

Michèle zog sich 1986, da war sie 35, vom Spitzensport zurück. Sie nützte ihren Ruhm und ihr wunderbares Netzwerk zur Schaffung des „Race of Champions“, eines Spektakels, bei dem Renn- auf Rallyefahrer treffen. In diesem Jahr fand es in Mexiko statt, Mick Schumacher wurde Zweiter.

Michèle hatte sich längst in einen Schweden verliebt, die Tochter ist nun auch schon erwachsen. Angelpunkt ihres Lebens ist nach wie vor Südfrankreich, immer noch Grasse und immer wieder Monaco.
Wenn die FIA, also die Internationale Sporthoheit, sie ruft, ist Michèle Mouton zu haben. Ihr Programm zur Frauenförderung im Rallyesport ist von der ursprünglichen Richtung etwas abgewichen. Es ist offensichtlich noch schwieriger als seinerzeit, als Frau an die absolute Spitze zu kommen – es ist allerdings auch nicht mehr so erstrebenswert, weil Rallyes insgesamt an Glamour und Reichweite verloren haben. Eine neue Liga für Frauen ist natürlich super, aber im Endeffekt das Gegenteil dessen, wofür Michèle Mouton vor fast vierzig Jahren angetreten ist. Man kann das elegante Thema nicht ohne Sidestep zur Formel 1 abschließen, samt Abriss zur Zeitgeschichte.


Angeblich ist derzeit grundsätzlich ein Revival der 1980er angesagt, zeitgeistmäßig, obwohl das ja im ersten Reflex nicht so mega klingt. Was die Formel 1 betraf, antwortete damals der mächtigste Macher (also Bernie Ecclestone) auf die Frage, was er sich wünsche, um seinen Zirkus NOCH attraktiver zu machen: Einen Deutschen, einen Schwarzen (oder so), eine Frau.

Der Wunsch nach einem Deutschen sollte sich rasch erfüllen und Michael Schumacher heißen. Für die Hautfarbe war damals noch das N-Wort erste Wahl, und die Selbstverständlichkeit, mit der es abgerufen wurde, zeigt jedenfalls, wie schnell manchmal die Zeit vergeht. Das tatsächliche Aufbringen des richtigen Burschen lief langsamer ab, Lewis Hamilton war noch gar nicht auf der Welt. Aber dafür jetzt umso heftiger.
Was die herzlich herbeigewünschte Frau in der Formel 1 betrifft, so ist sie genauso wenig in Sicht wie vor dreißig oder vierzig Jahren. Episoden gab es immer wieder, sie verblassten nach ein paar Monaten Marketing-Tamtam. (Besondere Erwähnung für seriöse Annäherung ohne Hype: Susie Stoddart, jetzt Frau des Mercedes-Teamchefs Toto Wolff, war vor etwa fünf Jahren wirklich knapp dran.) Amerika ist nicht anders, hatte aber eine besonders auffallende Ausnahme. Sie heißt Danica Patrick, fuhr in der höchsten US-Liga (IndyCars) tatsächlich gleichauf mit den Mackern. Jetzt macht sie ganz schön Wellen als Celebrity. Die Amis rechnen ja immer den „Net Worth“ des Menschen aus, demnach ist die Lady 60 Mio. Dollar schwer, bei 43 Kilo Körpergewicht. So weit hat es noch keine Frau mit der Rennerei gebracht.

Unsereins hält sich gern raus aus Kommentaren mit physiologischem Background, der sich sowieso ergibt. Frauen haben nun mal kein wegweisendes Talent für einen dicken Hals mit den Muskelkabeln, die es für die irren Fliehkräfte im Cockpit braucht. Es gibt auch nichts mehr zu beweisen in diese Richtung, aber da gehen die Meinungen weit auseinander.

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