Silvia Stantejsky legt ein Teilgeständnis ab: Sie habe Geld veruntreut, sich aber nicht persönlich bereichert, die Bilanzen waren falsch, aber nicht gefälscht. Die Verteidigerin diagnostiziert „Realitätsverlust“.
Früher rühmten sie ihre Chefs als „Seele des Hauses“ und „Herz des Theaters“. Nach ihrer Entlassung vor fünf Jahren sah sie sich selbst als „ideales Opfer“, als Sündenbock für die Finanzmisere an der Burg. Am Donnerstag legte Silvia Stantejsky, die frühere kaufmännische Direktorin, zum Auftakt ihres Prozesses vor dem Schöffensenat im Wiener Straflandesgericht ein Teilgeständnis ab. Wie schon bei ihrer Einvernahme vor der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gibt die 64-Jährige zu, Mittel veruntreut zu haben.
Allerdings nicht, um sich persönlich zu bereichern: Sie habe viel davon wieder ins Theater gesteckt, mit fremdem Geld dessen Löcher gestopft und irgendwann den Überblick verloren. Überhaupt sei sie völlig überlastet gewesen. Verteidigerin Isabell Lichtenstrasser führt eine psychische Erkrankung ins Treffen, die bei ihrer Mandantin zu einem „nicht unerheblichen Realitätsverlust“ geführt habe.
Der Verwirrung förderlich war jedenfalls eine seltsame Vorliebe für Bargeld an der führenden deutschsprachigen Bühne. So ließen sich viele Schauspieler und Musiker ihre Honorare oder Gehälter nicht auf ein Konto überweisen, sondern als „Handgeld“ bar auszahlen. Aus der dafür angelegten Kassa bediente sich auch Stantejsky. Für Staatsanwältin Veronika Standfest finanzierte sie sich damit „ihren luxuriösen Lebensstil“, mit kostspieligen Urlauben und Einkäufen bei Armani und Moschino.
Schwarze Null und schwarzer Peter
Die Aufdeckung eines solchen Vorfalls hatte zu ihrer Entlassung geführt; sie rechtfertigte sich früher damit, sie habe öfter Vorschüsse aus der eigenen Tasche gezahlt und sich das Geld dann irgendwann später wieder aus der Kassa geholt. Die Angeklagte übernimmt nun die Verantwortung für 33.000 Euro an kleineren Malversationen – und für zwei weit größere Fälle: Als Matthias Hartmann 2009 die künstlerische Leitung übernahm, deponierte er einen ihm zustehenden Betrag von 273.000 Euro nicht auf der Bank, sondern bei seiner Frau fürs Finanzielle, um das Geld „bei Bedarf abzuholen“. Stattdessen bediente sich Stantejsky: Sie lagerte 163.000 Euro davon zu Hause im Safe und bei ihrer Mutter; vier Jahre später war dieser Betrag aufgebraucht.
Mittlerweile hat sie aber einen größeren Teil an Hartmann zurückgezahlt.
Auf keinen außergerichtlichen Vergleich ließ sich hingegen der deutsche Regisseur David Bösch ein; bei seiner Forderung aus einem Werkvertrag geht es um 185.000 Euro. In Summe gibt die Beklagte also zu, über 380.000 abgezweigt zu haben. Aber sie wehrt sich gegen den Vorwurf der Bilanzfälschung – und das ist der politisch brisante Anklagepunkt, weil er den Kreis von möglichen Mitverantwortlichen weiter zieht. Die entscheidende Frage für die Urteilsfindung ist, ob die Abschlüsse gefälscht waren, also aus kriminellem Vorsatz gehandelt wurde. Denn dass sie falsch waren, also die wirtschaftliche Misere des Theaters beschönigten, gesteht auch die Verteidigerin ein.
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Selbstanzeigen des Theaters und Finanzamtprüfungen brachten es zutage: Zahlungen an Dienstnehmer wurden schwarz verrechnet, Scheinselbstständige beschäftigt, Rückstellungen für Urlaube nicht oder zu niedrig gebildet. Viele Kosten für Produktionen wurden in zu großzügigem Ausmaß als Vermögen aktiviert, statt sie als Sachausgaben sofort ergebniswirksam zu verbuchen. Die meisten dieser Praktiken gehen laut Finanzamt bis 2004 zurück (davor wären sie verjährt), laut Stantejsky bis 1999 (als der Staat die Bundestheater ausgliederte und in einer Holding zusammenfasste). Wer hätte von den Tricksereien wissen müssen? Für ihre Verteidigerin ging es Stantejsky nur darum, die von der Holding geforderte „schwarze Null“ abzubilden. Dass die Burg verlustfrei nicht zu führen war, sei „allen Beteiligten sonnenklar“ gewesen. Die Angeklagte gibt zu Protokoll, sie habe nicht verschwiegen, „dass die Situation scheiße ist“.
Freilich wurden die Ermittlungen gegen Hartmann und den pensionierten Holding-Chef Georg Springer eingestellt. Sie treten im Prozess als Zeugen auf. Und SPÖ-Politiker Thomas Drozda, Stantejskys Vorgänger und Vorgesetzter bis 2008? Er will von nichts gewusst haben und beteuert, er hätte das Haus finanziell solide übergeben. Die ganze Tragödie um das Burgtheater also als Einpersonenstück, von und mit Silvia Stantejsky? Sogar die Staatsanwältin räumt ein: „Es mag sein, dass sie den schwarzen Peter hat.“