Im öffentlichen Hearing zur Ukraine-Affäre erhärtete ein Topdiplomat den Vorwurf, dass der Präsident vor allem an einer Untersuchung gegen Joe Biden interessiert gewesen sei.
Die Stilnoten nach dem ersten öffentlichen Hearing in der Ukraine-Causa waren schnell vergeben. Karrierediplomat George Kent fiel durch sein akkurates Äußeres, seine Fliege und eine übergroße Wasserflasche auf, sein Kollege Bill Taylor mit sonorer Stimme und untadeligen Manieren („Yes, Sir“) – und der republikanische Abgeordnete Jim Jordan dadurch, dass er als einziger der Protagonisten ohne Sakko erschien.
Auf Wunsch der republikanischen Führung eigens zu den Anhörungen in den Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhaus entsandt, schaltete Jordan umgehend in Kampfmodus über. Er wandte sich an Taylor als „Starzeugen“ der Demokraten. Der US-Botschafter in Kiew ließ sich nicht provozieren und konterte, er sei unparteiisch. Donald Trump imponierte die Attacke Jordans gegen den „Never Trumper“, wie er seine Kritiker im Establishment punziert. Dagegen pries er den türkischen Präsidenten, den er noch vor wenigen Wochen in der Krise um Nordsyrien in einem Brief aufgefordert hatte, „kein Trottel“ zu sein und nicht den „harten Kerl“ zu spielen: „Ich bin ein großer Fan.“
„Alles aus dritter Hand“
Der Schlagabtausch zwischen Diplomaten und Politikern im Kongress lieferte Gesprächsstoff für die Politzirkel in Washington und die TV-Talkshows. Auch im Weißen Haus flimmerten die Fernsehschirme, und via Twitter ließ der Präsident im Lauf des Tages drei Dutzend Tweets abfeuern. „Ich habe keine Minute gesehen“, beteuerte der notorische TV-Junkie in einer leicht bizarren Pressekonferenz mit Recep Tayyip Erdoğan. „Ich bin zu beschäftigt, um mir das anzuschauen. Ich höre, das Ganze ist ein Schwindel. Alles aus dritter Hand.“ Stellvertretend für den Präsidenten und seine Anhänger fällte Stephanie Grisham, Pressesprecherin im Weißen Haus, das Verdikt: „Langweilig.“
Hellhörige Beobachter waren indessen überrascht von einer Neuigkeit, die Bill Taylor aufgetischt hatte. Er berichtete von einem Vorfall in einem Restaurant in Kiew, just einen Tag nach dem inkriminierten Telefonat Trumps mit Wolodymyr Selenskij am 25. Juli. Ein Mitarbeiter der US-Botschaft habe einen Anruf Gordon Sondlands, des amerikanischen EU-Botschafters, mit dem US-Präsidenten mitgehört, in dem sich dieser nach dem Stand der Dinge in der Ukraine erkundigte. Auf Nachfrage Taylors präzisierte Sondland seinen Eindruck: Trump kümmere sich mehr um die etwaigen Ermittlungen gegen Joe und Hunter Biden als um die Ukraine. Trump erklärte: „Ich weiß nichts davon.“
Als Zeuge wird Sondland am Mittwoch Gelegenheit haben, den Zusammenhang zwischen der Suspendierung der US-Militärhilfe für die Ukraine und dem Druck nach Korruptionsermittlungen in Kiew darzustellen. Sondland bezeichnete sich als einer der „drei Amigos“, die neben Trump-Anwalt Rudy Giuliani eine Nebenaußenpolitik betrieben. Bill Taylor sprach von „hochirregulären Gesprächskanälen“. Härter urteilte er über die Zurückhaltung der Militärhilfe, die das strategischen Interesse der USA unterminiert habe: „Kontraproduktiv, unlogisch, verrückt.“
Taylor und Kent warfen sich auch in die Bresche für ihre Kollegin Marie Yovanovitch, die nach einer „Schmutzkampagne“ Giulianis im Mai überstürzt als Botschafterin aus Kiew abgezogen worden war. Donald Trump hatte sie im Telefonat mit Selenskij als „Bad News“ charakterisiert. Als Zeugin wird die Ex-Botschafterin am zweiten Tag der öffentlichen Hearings am Freitag ihre Sicht schildern.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2019)