Gastbeitrag

Und dann noch der Vorsorgemalus

Neben Bildungs- und Jobmalus trifft sozial Schwächere auch die EZB-Entscheidung der Negativzinsen besonders.

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Das Leben beginnt für viele Menschen mit einem Geburtsmalus. Ob man zum Beispiel in Syrien das Licht der Welt erblickt oder in Norwegen, ob man in eine „Hackler“-Familie hineingeboren wird oder in einen Immobilien-Clan, macht einen Unterschied. Den man allerdings kaum jemandem zum Vorwurf machen kann.

Dem Geburtsmalus folgt sehr oft und ziemlich schlüssig, der Bildungsmalus. Weil Bildung in Österreich nach wie vor häufig von den Eltern auf die Kinder vererbt wird. Was hat die Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte daran geändert? Dabei brauchen wir in Österreich und in Europa neue Talente ganz dringend, um uns morgen gegenüber den USA und China zu behaupten. Im Fußball kann man übrigens schon lang nicht mehr auf ein absolut unvoreingenommenes, die soziale und ethnische Herkunft komplett außer Acht lassendes Scouting verzichten. Wann wird sich dieses Prinzip auch in Schule und Wirtschaft vollinhaltlich durchsetzen?

Womit wir beim dritten Malus wären, mit dem junge Menschen aus bildungsfernen Schichten zu kämpfen haben, nämlich dem Jobmalus. Welche echten Jobchancen hat denn jemand, dem der Zugang zu einer qualifizierten Ausbildung, durch welche Umstände auch immer, verwehrt blieb? Ist es noch ein Wunder, wenn ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht mehr in die Lage kommt, sich für ihren Lebensabend auch nur ein kleines Vermögen aufzubauen?

Gelingt dies doch, steht für vom Schicksal wenig Begünstigte ein weiterer Malus ante portas, der seit der EZB-Entscheidung, die Negativzinsen für Einlagen von Banken bei der Europäischen Zentralbank von 0,4 auf 0,5 % zu erhöhen (und somit die extreme Niedrigzinsphase zu verlängern) stärker in den Fokus rückt: der Vorsorgemalus! Wir werden in den kommenden Jahren nur mehr dabei zuschauen können, wie unter Konsumverzicht angesammelte Reserven dahinschmelzen. Weil gerade diese stark auf Sicherheit bedachten Sparer von großer Angst geplagt werden, das Ersparte nur nicht wieder leichtfertig zu gefährden, übersehen sie, dass sie dies erst recht tun, wenn sie beim vermeintlich kleineren Übel Spareinlagen bleiben. So werden sie noch einmal bestraft, und so wird auch die Mittelschicht weiter erodieren!

Breite Finanzbildung

Im vergangenen Wahlkampf hat die Frage Kaufkraftverlust durch Nullzinsen übrigens so gut wie keine Rolle gespielt. Nur wohin soll es führen, wenn durch diese „Enteignung auf Raten“ soziale Ungleichheit in unserem Land auf Jahre hinaus noch stärker beflügelt wird? Tatenlos zuzusehen geht jetzt nicht mehr, wenn sich die Kluft zwischen Arm und Reich in Österreich nicht weiter vertiefen und den sozialen Zusammenhalt nicht gefährden soll. Fazit daher erstens: Ein großer Teil der Österreicher darf nicht noch länger vom Kapitalmarkt ferngehalten werden (weil etwa Aktien als Spekulation verteufelt werden) oder sich selbst von diesem ausschließen.

Dazu bedarf es u. a. aber auch einer Finanzbildung auf breiter Basis, die diesen Namen wirklich verdient. Zweitens: Da der Staat nach der Finanz- und Schuldenkrise schon genug von den niedrigen Zinsen profitiert hat, ist es jetzt an der Zeit, den Bürgern durch eine intelligente, vielleicht sogar sozial gestaffelte, Förderung der Vermögensbildung wieder etwas zurückzugeben. Innovative, kreative und mutige Ansätze sind dabei gefragt. Aber von welcher Koalition wird diesbezüglich wohl am ehesten etwas zu erwarten sein?

Josef Redl (* 1945) hat sein gesamtes Berufsleben mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb im Bank- und Versicherungsbereich verbracht und war ehrenamtlich im Finanzbereich tätig. Von 1996 bis 2006 Vorstandsmitglied der Postversicherung AG, 1990 bis 2017 Vorstandsmitglied im Finanz-Marketing Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2019)

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