Gespräche über die Natur des Menschen

Warum wir Menschen sind, wie wir sind. Über Ursprung und Gegenwart.

Andreas Lippert, der emeritierte Wiener Professor für Ur- und Frühgeschichte, hat einen originellen Zugang gewählt, um uns über jüngste Forschungen zur kulturellen Prägung des Menschen zu belehren. Er hat 15 prominente Vertreter verschiedener Human- und Naturwissenschaften zu Gesprächen eingeladen. 15 interdisziplinäre Dialoge in Interviewform also, mit Fragen über das menschliche Verhalten in der Urzeit und in heutigen Gesellschaften.

Ein buntes Mosaik ist entstanden, mit immer wieder neuen Zugängen. Die längste Zeit seiner Geschichte war der Mensch Jäger und Sammler. Sie hat unsere Gene nachhaltig geprägt. Es sind alte Leistungsvoraussetzungen und Verhaltensweisen, die uns noch heute stark beeinflussen. „Vieles können wir mit dem Verstand zügeln, mäßigen oder überhaupt unterdrücken oder auch fördern und zur Geltung kommen lassen“, so Andreas Lippert, aber viele uralte Verhaltensweisen sind auch heute noch für unser Handeln ausschlaggebend.

Menschen lernen „Small Talk“

Wie haben sich die Eigenschaften und Fähigkeiten, die die Menschen in ihrer Zeit als Jäger und Sammler erworben haben, erhalten? Unser Streben nach Rang und Status, auch die Konfliktbereitschaft haben eindeutig evolutionäre Hintergründe. Wie und warum ist die Paarbindung entstanden? Man geht davon aus, dass die Polygamie bis in die Eisenzeit eine ganz übliche Gesellschaftsform war. Wie die Mutter-Kind-Beziehung?

Welche Funktion hatte die frühe Sprache? Es kann sein, dass sie nicht der Weitergabe von Informationen diente, sondern der Mitteilung von Gefühlen. Die ersten Sprachäußerungen ähnelten also unserem Small Talk, es war ein Reden über eigentlich unwichtige Dinge und diente dazu, eine Atmosphäre der Gemeinsamkeit zu schaffen. Woher kommt die Religion? Es scheint, dass sie ihren Ursprung in der sich rasant entwickelnden Fähigkeit der frühen Menschen zur Reflexion über die Welt und die Zukunft hat.

Archäologisch gut belegt sind auch kriegerische Auseinandersetzungen, sie sind schon nachweisbar vor dem Sesshaftwerden der Menschen. Ein sicher uraltes bis heute wirksames Phänomen ist die permanente Absetzung der eigenen von der anderen Gruppe, die Dehumanisierung der Feinde.

Immer geht es in Lipperts Buch um den Menschen, um seine Entwicklung aus dem Tierreich, seine Entfaltung und sein soziales Verhalten – bis in unsere Zeit. „Ethologische Kränkung“ wurde diese Einsicht genannt, dass nicht nur unser Körperbau aus dem Tierreich hervorgegangen ist. Neue Erkenntnisse bauen die Demütigung aus: Die Überzeugung, dass unsere Spezies trotz aller Gemeinsamkeiten mit den Tieren die einzige sei, die Kultur hervorbringe, wurde ebenfalls zerstört.

Nicht nur Forschern wird mulmig bei dem Gedanken, dass wir in Zukunft noch stärker als bisher aus unserer biologischen in eine digitale Existenz, eine transhumane Zukunft, hinübergeführt werden könnten. Ersetzen digitale Zauberdinge wie Chips im Gehirn das biologische Erbe? Vertrauen Sie bei einem Langstreckenflug eher einem Piloten oder einem Computer? Wird da alles besser? Mit diesem – ehrlich gesagt wenig beruhigenden – Ausblick auf die Zukunft endet das anregende Buch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2019)

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