Besprochen

Endlos fallen die Blätter

Ali Smith: „Herbst“
Ali Smith: „Herbst“Luchterhand
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Ali Smith verknüpft in „Herbst“ Impressionen vom Brexit mit Reflexionen über das Leben an sich.

Mit ihrem Jahreszeitenzyklus hat die britische Schriftstellerin Ali Smith in den letzten Jahren in vier Bänden ein Bild der Gegenwart ihres Landes geschaffen. Mit „Herbst“ liegt nun die erste Übersetzung ins Deutsche vor – mehr als drei Jahre nach der Volksabstimmung über den Brexit. Manches, was in den Tagen nach dem Referendum mit flammender Nadel gestrickt wurde, ist seither Alltagskleidung: „Im ganzen Land fanden die Leute, es sei das Falsche. Im ganzen Land fanden die Leute, es sei das Richtige.“ Mehr als drei Jahre nach der Volksabstimmung ist das Land uneiniger denn je.

Smith legt aber keine Chronik der laufenden (Nicht-)Ereignisse vor, sondern verwebt den Schock über das Resultat von 2016 mit der Geschichte der jungen Elisabeth und des alten Daniel. Hundert Jahre ist er alt und kann nicht sterben. Wenn Elisabeth ihn besucht, dann gibt ihr sein Schweigen Trost – in der Gnadenlosigkeit britischer Ämter, in der Unsicherheit prekärer Beschäftigungsverhältnisse und im Umgang mit der nervenaufreibenden Mutter. Poetisch verwoben in die Handlung werden Shakespeares „Sturm“ sowie das Leben der Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty.

Dazu erleben wir die Verwandlung des alten Mannes in einen Baum – unerschütterlich, verwurzelt und uralt. Im Frühjahr legt er ein neues Blätterkleid an, im Herbst wirft er es wieder ab. Und immer so weiter. So wie der Mensch sich mitteilen muss: „Das Erzählen hört nie auf, heute nicht und morgen auch nicht. Das ist ja die Geschichte. (Schweigen.) Sie ist das endlose Fallen der Blätter.“ GAR

Ali Smith: „Herbst“, übersetzt von Silvia Morawetz, Luchterhand, 272 Seiten, 22,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2019)

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