„Eiskönigin“ Elsa und ihre Schwester Anna kommen zum zweiten Mal ins Kino. Hier ist es allen Klischees zum Trotz übrigens ein Mann, der mit einem Tier (seinem Rentier) spricht.
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Die Evolution der Disney-Prinzessinnen: Diese Mädchen sind nicht zu retten

Disney vermarktet die Evolution seiner Prinzessinnen geschickt: Jede neue ist ein bisschen emanzipierter als die letzte. Die hilflosen Schönheiten von früher kann das nicht verdrängen.

Wer einen Haufen aufgetakelter Prinzessinnen unterschiedlichster Herkunft auf einmal sehen will, braucht dafür kein Disneyland-Ticket. Im Disneyfilm „Chaos im Netz“ von 2018 sitzen sie alle in einem Zimmer: Schneewittchen und Arielle, Mulan und Cinderella, Elsa und Anna, Pocahontas und Rapunzel. Sie kämmen einander die Haare und kuscheln mit ihren Tieren, als plötzlich die Rennfahrerin Vanellope auftaucht, die behauptet, auch eine Disney-Prinzessin zu sein.

Ist das möglich? Die anderen beginnen, Vanellope auszufragen – und fahren dabei alle Prinzessinnenklischees auf, die Disney über die Jahre (bis dato 82, um genau zu sein) kultiviert hat: Wurde sie vergiftet, verflucht, entführt oder versklavt? Spricht sie mit Tieren, hat sie den Kuss wahrer Liebe schon erlebt, fängt sie auch unvermutet zu singen an, wenn sie auf eine Wasseroberfläche starrt? Man könnte die Liste erweitern: Hat sie Barbie-Maße, eine helle Sopranstimme, ein liebliches Gemüt? Versetzt es sie in Entzücken, durch Zauberhand neu eingekleidet zu werden (oder aufzuräumen)?

Schließlich sprechen die Frauen seufzend aus, was sie an ihrer Rollenzeichnung am meisten nervt: „Glauben alle, dass deine Probleme gelöst sind, nur weil ein großer starker Mann aufgetaucht ist?“ Dass Disney sein eigenes Erbe selbstironisch zerlegt und gleichzeitig hochhält, hat fast schon Tradition. 2007 erschien mit dem Film „Enchanted“ eine Persiflage und zugleich Hommage an die ältesten hauseigenen Prinzessinnen: Eine hoffnungslose Romantikerin im bauschigen Brautkleid verirrt sich aus einer Zeichentrickwelt ins moderne New York, wo ihr Koloraturgesang, mit dem sie üblicherweise die Tiere des Waldes zu sich ruft, nur Ratten und Kakerlaken anzieht.

Weltfremd, rückschrittlich, einer romantischen Fantasie verfallen, rettungsbedürftig: Die meist auf irgendeine Art royalen Frauen im Figurenarsenal des Unterhaltungskonzerns müssen als Paradebeispiele für stereotype Geschlechterrollen herhalten. Dabei stützen sich die Analysen meist auf die frühesten Disney-Prinzessinnen (die offenbar noch immer einen Zauber auf Kinder ausüben – und die im Rahmen der „Princess“-Spielzeuglinie auch noch aktiv vermarktet werden).

Doch mit Dornröschen (1959), die ihren halben Film verschläft, hat die schottische Bogenschützin Merida (2012) nicht mehr viel zu tun. Die Prinzessinnen haben sich weiterentwickelt – und zum Glück auch die Prinzen: Männer, die durch die Gegend reiten, um bewusstlose Frauen zu küssen (was in vielen Ländern mittlerweile wohl unter einen Strafrechtsparagrafen fällt), sind rar geworden.

Drei Epochen

Die Hilflosen. Die erste Prinzessinnenphase bei Disney dauerte von 1937 bis 1959 – und ließ die charakterarmen Figuren Schneewittchen, Cinderella und Dornröschen auf den Prinzenkuss warten.

Die Rebellischen. Zwischen 1989 und 1998 erschienen Filme mit unabhängigeren, dennoch lieblichen Prinzessinnen: Arielle, Belle, Jasmin, Pocahontas, Mulan (die eigentlich keinen royalen Titel hat).

Die Eigenständigen. Ab 2009 kamen selbstbestimmte Prinzessinnen, die für ihr eigenes Glück kämpften und an Romantik gar nicht – oder nur am Rande – interessiert waren: Tiana, Rapunzel, Merida, Vaiana sowie Elsa und Anna aus „Die Eiskönigin“.


Jungfrau in Not. Die Ahnenlinie der Disney-Prinzessinnen beginnt mit dem allerersten abendfüllenden Spielfilm des Studios: „Schneewittchen“ (1937) war dem damaligen Filmstar Janet Gaynor nachempfunden, die vor allem junge Naive verkörperte. Kindlich, unschuldig, leichtgläubig: Immer wieder fällt Schneewittchen auf die Tricks der bösen Königin rein, immer wieder wird sie dank ihrer Schönheit gerettet. In der Vorlage der Gebrüder Grimm noch nicht enthalten ist der Fokus auf den Prinzenkuss, der ein Happy End verspricht – und der auch in den Disneyfilmen der 1950er eine große Rolle spielt: Auch Cinderella und Dornröschen sind passive Figuren in ihren eigenen Geschichten, sie erdulden ihr Leid und träumen von Erlösung.

(c) Disney

Nach dem Tod der Disney-Gründer Walt und Roy stürzte das Zeichentrickstudio in eine Krise. Ein Märchen sollte es 1989 wiederbeleben: „Arielle, die Meerjungfrau“ war deutlich quirliger als frühere Prinzessinnen, entsprach aber nicht dem aktuellen Frauenbild: Sie sehnt sich nach Beinen und der Liebe eines Prinzen und gibt dafür buchstäblich ihre Stimme auf. Die Andersen-Vorlage wurde wieder um das Prinzip des erlösenden Kusses erweitert.

Die 1990er – eine Zeit, in der mit Diana auch am englischen Hof die Regeln, denen eine Prinzessin zu folgen hat, neu geschrieben wurden – brachten deutlich unabhängigere Disney-Figuren: Bücherwurm Belle aus „Die Schöne und das Biest“, Jasmin aus „Aladdin“, Pocahontas und Mulan widersetzen sich den Erwartungen, die an sie gestellt werden. Sie zementierten ein Bild, das lange hielt: Eine Prinzessin muss ausbrechen, „ihrem Herzen folgen“ – aber auch rein und liebenswürdig sein.

„Küss den Frosch“
„Küss den Frosch“(c) Disney

Die dritte Prinzessinnenwelle, die 2009 mit der Afroamerikanerin Tiana aus „Küss den Frosch“ begann, etablierte Kämpferinnen, die an Romantik oft gar nicht interessiert waren. Vaiana segelt herum; Merida übt sich im Nahkampf, nicht in Liebesdingen. Und der Riesenhit „Die Eiskönigin“ drehte sich zwar auch um royales Geflirte, aber vor allem um eine schwierige Schwesternbeziehung und eine Frau, die ihre Andersartigkeit – also ihre Zauberkräfte – akzeptiert und aus ihrer selbstgewählten Isolation herausfindet.


Hose statt Kleid. Das weckte bei älteren Fans des Films den Wunsch, Eiskönigin Elsa möge in der Fortsetzung als offen lesbisch porträtiert werden. Die Filmemacher beteuerten, die Option zu erwägen – entschieden sich dann aber, Elsa ohne romantische Ablenkung glücklich sein zu lassen. Und kleideten sie in Hose und Cape – kein Kleid!
Natürlich nutzt Disney diese Evolution auch als fortlaufende Marketingstrategie: Jede neue Prinzessin ist ein bisschen emanzipierter, auf ein bisschen andere Weise feminin, ein bisschen näher an der echten Welt als ihre Vorgängerin. Die alten Prinzessinnen funktionieren als Kontrastmittel – aber sie werden immer noch eingesetzt, um Disney-Werte zu vermitteln. „Ich bin eine Prinzessin. Manchmal bin ich mutig. Manchmal hab ich Angst“, heißt es in einem Werbespot, der alte und neue Filmszenen zwischen Bildern heutiger Mädchen beim Spielen und Sport zeigt. Prinzessinnen sind loyal, großzügig, um Gemeinschaft bemüht und trotzdem stark, lautet die Botschaft, die deutlich an Kinder in der Rosa-Glitzer-Phase gerichtet ist.

„Die Eiskönigin 2“ zeigt nun eine Königstochter, die sich dankbar retten lässt, aber nicht die Kontrolle über ihr Schicksal abgibt. Als Anna von Riesen gejagt wird, zieht Freund Kristoff sie mit seinem Rentier aus der Steinschusslinie – aber nicht, um sie in Sicherheit zu bringen, sondern um sie in ihrem Kampf zu unterstützen: „What do you need?“, fragt er, während er über die Wiese holpert. Und rührt manche Kinobesucher damit mehr, als er es mit dem innigsten Kuss hätte tun können.

Schwieriges Erbe

Warnhinweise. Oft werden Disney rassistische oder kulturell unsensible Darstellungen in zumeist älteren Filmen vorgeworfen. Kritisiert werden etwa die Krähen, die in „Dumbo“ (1941) dem Stereotyp tanzender, diebischer Afroamerikaner nachempfunden seien. Eine siamesische Katze in „Aristocats“ (1970) basiere auf asiatischen Stereotypen. Im neuen Streamingdienst Disney Plus sind diese Filme nun mit einem Warnhinweis versehen: Sie enthalten „veraltete kulturelle Darstellungen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2019)

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