Kritik

Fünf Eddys machen noch kein Stück

 „Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis
„Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis APA/ROLAND SCHLAGER
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Die Streitschrift „Wer hat meinen Vater umgebracht“ von Édouard Louis verirrt sich ins Volkstheater.

Das fängt ja ungut an. Noch während das Publikum seine Plätze einnimmt, doziert Julia Kreusch schon plakative Weisheiten aus dem Proseminar für neomarxistische Gesellschaftskritik – mit genau jenem schmallippig gekränkten Ton, zugleich sanft und latent aggressiv, den man von Édouard Louis kennt, dem jungen französischen Erfolgsautor, um den sich an diesem Abend alles dreht. Die Konkurrenz vom Schauspielhaus machte sich den Start der Louis-Festspiele auf heimischen Bühnen leichter. Am Mittwoch hatte dort „Im Herzen der Gewalt“ Premiere, die Bühnenfassung einer packenden Story, die Schauspieler wirklich spielen lässt. Nicht so bei „Wer hat meinen Vater umgebracht“ im Volkstheater.

Basis dieser Regiearbeit der Schweizerin Christine Rast ist ein gleichnamiger Essay, eine Art Nachwort zum 2014 erschienenen, in 30 Sprachen übersetzten Debütroman „Das Ende von Eddy“, in dem Louis seine üble Kindheit in einem nordfranzösischen Dorf schildert, als zart besaiteter, schwuler Bub, der an seinem ruppigen Umfeld fast zerbricht.

Vor allem am Vater, der alles vereint, vor dem sich liberale Stadtmenschen so herrlich gruseln können: toxische Männlichkeit, Homophobie, Rassismus, rechtsextremes Wahlverhalten. Im Essay wird der Säufer noch einmal am Nasenring der Öffentlichkeit vorgeführt. Aus dem Täter wird das exemplarische Opfer der kapitalistischen Weltordnung, als literarische Galionsfigur der Gelbwestenbewegung, die Louis so entzückt. Die grob gestrickte Botschaft: Die da oben sind an jeder Misere Schuld.

Wie hievt man ein solches vulgärsoziologisches Pamphlet auf die Bühne? Louis lieferte die Anweisung schon mit: „Wäre dies ein Theatertext“, dann würden sich Vater und Sohn „in einigen Metern Abstand zueinander“ befinden, in einer Turnhalle, einem Weizenfeld, im Schnee. Aber reden dürfe allein der Sohn, nur er kann sich ja artikulieren. Was Rast übereifrig befolgt: Der Vater ist bei ihr nur eine riesige Stoffpuppe, die herumgeschoben und auf der rumgetrampelt wird. Leider. Es hätte ja mehrschichtig, kontrastierend, geradezu theatralisch werden können, hätte man einen Dialog zugelassen.

So haben wir es wieder nur mit Eddy zu tun, dafür in fünffacher Ausführung: Drei Männer und zwei Frauen spielen ihn abwechselnd. Aber was heißt da spielen: Sie deklamieren im immer gleich aufgeregten, drängenden Ton Exzerpte aus beiden Büchern, dem Essay und dem Roman. Das ist so undankbar, dass man ihnen mitleidig nachsieht, wenn sie sich zuweilen verhaspeln.

Zumal Peter Fasching, Sebastian Klein, Sebastian Pass, Julia Kreusch und Birgit Stöger mit viel Energie und sympathischer Emphase versuchen, zu retten, was nicht zu retten ist. Sie nehmen mit Kameras auf, werfen mit Grabkränzen, stimmen Chansons an und kraxeln auf einem überdimensionalen Esstisch herum (Bühnenbild: Franziska Rast). Aber all das bleibt willkürlich, ohne Struktur und roten Faden. So kann die Regie nicht kaschieren, dass sie kein Stück vorlegt, sondern eine Buchlesung mit verteilter Rolle. Obwohl es ja der multiplizierte Eddy ermöglicht hätte, dessen Facetten, Zweifel, Ambivalenzen stärker aufzufächern. Doch auch diese Chance ergreift Rast so richtig nur in einer Szene, der einzig wirklich starken des Abends: Den Talkshowgast Louis, der sich in seiner Starrolle nicht mehr wohlfühlt, suchen die Dämonen seiner Kindheit heim, der lästig fragende Moderator entpuppt sich als sein Alter Ego.

Wie erschrocken über so viel Subtilität, packt Rast für den Schluss den ganz großen Holzhammer aus: An der Rampe halten die Eddys die Porträts der Präsidenten von Chirac bis Macron hoch. Sie schreien Louis' Anklage heraus, diese bösen Mächtigen hätten mit ihrer Sparpolitik seinen Vater „umgebracht“: „Was es bräuchte, ist eine ordentliche Revolution.“ An das Volkstheater richten wir den Appell: Was es bräuchte, ist ein ordentliches Stück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2019)

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