Leitartikel

Die EU hat den Vorschuss der geglückten Europawahl verspielt

Der Urnengang im Mai weckte die Hoffnung, die Union würde nun geeint an Sachlösungen arbeiten.
Der Urnengang im Mai weckte die Hoffnung, die Union würde nun geeint an Sachlösungen arbeiten. APA/HELMUT FOHRINGER
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Der Urnengang im Mai weckte die Hoffnung, die Union würde nun geeint an Sachlösungen arbeiten. Seit sechs Monaten erweist sich das als Irrtum.

Das Gemeinsame vor das Trennende stellen: Dieses versöhnliche Wort aus dem Setzkasten der politischen Gebrauchssprache wäre als Leitmotiv für die Europäische Union besser geeignet als „In Vielfalt geeint“, jenes Europa-Motto, das im Jahr 2000 aus einem Schülerwettbewerb hervorging und die Präambel der Verfassung der EU schmücken würde, wäre diese nicht fünf Jahre später an den negativen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zerschellt. Denn die existenziellen Krisen um Euro, Migration und Brexit haben im vergangenen Jahrzehnt verdeutlicht, dass die Europäer nicht in einer gleichsam harmlosen, agnostischen Vielfalt nebeneinander leben, sondern dass sie mehr trennt, als man es sich wünschen möchte. Das ist bedauerlich. Doch wenn es gelingt, über alle Gräben hinweg doch gemeinsame Interessen zu finden, ist allen gedient und das friedliche Miteinander (oder Nebeneinander) gesichert. Das sollte die Kardinaltugend jedes Europapolitikers sein.

Die Wahlen zum Europaparlament im Mai heurigen Jahres boten berechtigten Anlass, neue Hoffnung auf diese Form der Verantwortungsethik zu setzen. Erstmals seit Beginn der Direktwahl dieses Hauses stieg die Wahlbeteiligung, mit knapp 51 Prozent lag sie so hoch wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Europas Bürger, gleich welcher Weltanschauung, nehmen die EU verstärkt ernst und erwarten sich von ihr die Lösung all jener Probleme, welche die Grenzen der Nationalstaaten übersteigen. Diese Schlussfolgerung war nicht abwegig. Kaum ein europäischer Politiker, der in den Tagen und Wochen nach der Wahl darauf verzichtete, die Dringlichkeit seines Tuns mit einem Verweis auf das erfreuliche Wahlergebnis zu untermauern. Ein erfreuliches Wahlergebnis übrigens auch, weil das Abschneiden der Extremisten am linken und rechten Rand sich in Grenzen hielt.

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