Proteste eskalieren

Feuer und Gewalt: Die Belagerung der Universität von Hongkong

Demonstranten vor der Polytechnischen Universität werden von der Polizei ins Visier genommen, vorerst mit Tränengas.
Demonstranten vor der Polytechnischen Universität werden von der Polizei ins Visier genommen, vorerst mit Tränengas.(c) REUTERS (THOMAS PETER)
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In Hongkong ist es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Viele Aktivisten wurden festgenommen, die Polizei droht mit dem Einsatz von scharfer Munition.

Montagfrüh herrschte zunächst angespannte Ruhe. Doch versammelten sich wieder vermummte und schwarz gekleidete Demonstranten auf den Straßen der chinesischen Sonderverwaltungsregion und bauten Straßensperren. Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten: Ein Großaufgebot von Sicherheitskräften wurde mobilisiert. Dutzende junge Leute wurden festgenommen. Die Polizei setzte in mehreren Stadtvierteln Tränengas ein.

Besonders angespannt war die Lage in und rund um die Polytechnische Universität, wo die Lage Lage in der Nacht eskaliert war, als radikale Aktivisten Brandsätze warfen und Feuer legten. Die Polizei unternahm nach Medienberichten am frühen Morgen einen Versuch, auf das Gelände vorzudringen. Die Aktivisten hätten aber ein großes Feuer entzündet, um die Polizei abzuwehren, berichtete die „South China Morning Post". Es entwickelte sich eine Art Belagerungszustand.

Flucht trotz Tränengas

Nach Vermittlungsbemühungen der Hochschulleitung hätten rund 70 bis 100 Studenten versucht, die Universität zu verlassen, seien aber wieder in das Gebäude geflüchtet, weil die Polizei Tränengas gegen sie eingesetzt habe, berichtete die Studentenvereinigung. Auch befürchteten viele, festgenommen zu werden. „Die Konfrontation ist vorerst ausgesetzt", sagte der demokratische Abgeordnete Ted Hui, der seit Sonntag mit den Studenten ausharrte, am Morgen der Zeitung. „Die Polizei kann nicht reinkommen, aber die Demonstranten können auch nicht raus."

Die Polizei errichtete am Montag Absperrungen um den Komplex und schlug mehrere Ausbruchsversuche mit Gummigeschoßen und Tränengas zurück. Einige Demonstranten wurden von Beamten zu Boden gerissen und mit vorgehaltener Waffe festgenommen. Auf dem Campus der Polytechnischen Universität verschanzten sich Hunderte Menschen mit Brandsätzen und selbstgebauten Waffen. Der demokratische Abgeordnete Hui Chi-fung sagte der Nachrichtenagentur Reuters, offenbar wolle die Polizei das Gelände nicht stürmen. Vielmehr sollten die Demonstranten wohl im Falle einer Flucht gefasst werden.

Eine Erklärung der Polizei sprach gleichwohl von einem anhaltenden Einsatz, um Demonstrationen aufzulösen und Festnahmen zu machen. „Aufrührer, die sich auf dem Gelände versammelt haben, legten Feuer und richteten schwere Schäden an", teilte die Polizei mit. "Explosivstoffe, brennbare Materialien und gefährliche Güter stellen dort auch eine Gefahr für alle dar." Die Polizei fordere alle auf, das Universitätsgelände zu verlassen. In der Erklärung vom Montag warnte die Polizei die Demonstranten, nicht mehr mit tödlichen Waffen gegen die Polizei vorzugehen und weitere Gewalttaten einzustellen. Die Beamten würden sonst mit Gegengewalt reagieren und gegebenenfalls scharfe Munition einsetzen.

Vermummte errichten Barrikaden

Die Hochschulen der chinesischen Sonderverwaltungsregion hatten sich vergangene Woche zu einem neuen Brennpunkt der seit fünf Monaten anhaltenden Proteste entwickelt. Seit Sonntag wurden nach Angaben der Behörden 38 Menschen verletzt, davon fünf schwer. Am Montag drohten in den Straßen der asiatischen Finanz- und Wirtschaftsmetropole neue Zusammenstöße. Schwarz vermummte Aktivisten bauten neue Barrikaden und warfen Steine auf Autos, wie es in Medienberichten hieß.

Allein im Stadtviertel Tsim Sha Tsui wurden rund 100 Personen festgenommen, berichtete die „South China Morning Post". Die Polizei habe mitgeteilt, sie seien von der Polytechnischen Universität geflüchtet, hätten Straßen blockiert oder sich illegalerweise versammelt. Die Proteste in Hongkong dauern bereits 24 Wochenenden in Folge an. Sie richten sich gegen die Regierung, harsches Vorgehen der Polizei sowie den wachsenden Einfluss der kommunistischen Pekinger Führung.

Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkolonie nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" unter chinesischer Souveränität autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger genießen - anders als die Menschen in der kommunistischen Volksrepublik viele Rechte wie Versammlungs- oder Meinungsfreiheit, um die sie jetzt aber fürchten.

Vermummungsverbot "verfassungswidrig"

In einer überraschenden Wende verwarf indes ein Gericht in Hongkong das derzeitige Vermummungsverbot als verfassungswidrig. Das Anfang Oktober in einem Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht verhängte Verbot von Maskierungen verstoße gegen das Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion, befand das Gericht. Die Beschränkungen der Persönlichkeitsrechte gingen weiter als notwendig.

Das Gericht stellte aber klar, dass es ein Vermummungsverbot nicht grundsätzlich ablehne oder für verfassungsrichtig halte. Es hänge von den Details eines solchen Gesetzes ab. Das 106 Seiten lange Urteil sieht auch das seit 1922 geltende Notstandsrecht aus der britischen Kolonialzeit im Widerspruch zum Grundgesetz, weil es die Regierungschefin Carrie Lam im Falle einer öffentlichen Gefahr zu weitreichenden Vollmachten ermächtige.

Alltag zusehends beeinträchtigt

Die Proteste haben zunehmend Folgen für das Alltagsleben und die Wirtschaft Hongkongs. Dem Branchendienst Routes Online zufolge streichen immer mehr asiatische Fluggesellschaften Flüge dorthin. Vergangene Woche hatte Hongkongs größte Fluglinie Cathay Pacific davor gewarnt, dass die Geschäftsaussichten wegen der Auseinandersetzungen in Hongkong "herausfordernd und unsicher" seien.

Wie am Montag aus Angaben des auf die Beobachtung von Flugplänen spezialisierten Branchendienstes Routes Online hervorgeht, kürzten etwa die indische Fluggesellschaft SpiceJet, Malaysias AirAsia, die südkoreanische JejuAir oder die philippinischen Fluglinien PAL und Cebu Air die Zahl der Flugverbindungen nach Hongkong für die nächsten Wochen. Auch verschiedene chinesische Fluglinen, darunter Air China und China Eastern beantragten demnach eine Kapazitätsreduzierung.

Im Oktober fiel die Zahl der Flüge am Hongkonger Flughafen um 6,1 Prozent, die Zahl der Passagiere ging um 13 Prozent zurück, wie der Betreiber am Sonntag mitteilte. Eine Sprecherin der Fluglinie PAL erklärte, man verwende kleinere Flugzeuge, weil die Nachfrage nach Hongkong-Flügen zurückgehe.

(APA/dpa)

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