Der Architekt Gustav Peichl, auch bekannt als Karikaturist Ironimus, ist am Sonntag im 92. Lebensjahr nach kurzer schwerer Krankheit in seinem Haus in der Himmelstraße in Wien-Grinzing gestorben, wo er seit 1962 gelebt hat.
Die Neujahrsnummer 1955 der „Presse“. Sie ist mir deswegen heute noch in Erinnerung, weil da eine Karikatur war. Unvergesslich. Gustav Peichl hatte den Hoffnungen diverser Staatsmänner seine Zeichenfeder geliehen. Den österreichischen Bundeskanzler Julius Raab skizzierte er – samt obligater Virginia – mit dem österreichischen Staatsvertrag auf dem Kopfpolster – der heißeste Wunsch aller Österreicher. Der Wunsch sollte noch in diesem Jahr in Erfüllung gehen. Und Peichls Karikatur sollte eine der berühmtesten von „Ironimus“ werden. Dieses Pseudonym hätte nicht besser gewählt werden können.
Es war der Beginn einer beispiellosen Karriere als zeichnender Journalist und humorvoller Architekt, der es bis zum Rektor der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz bringen sollte. In beiden Rollen war er brillanter Selbstvermarkter. Ein PR-Genie, ein quirliger Kobold, hinter dessen runder Brille sich Lachfältchen verbargen.
Mit mildem Spott verfolgte er seit den Fünfzigerjahren das Weltgeschehen und die oft kleinkarierte heimische Innenpolitik. Er ärgerte sich mit den Österreichern über das ausufernde Proporzsystem, das alle Lebensbereiche des Landes in Beschlag nahm. Als Synonyme für die beiden Großparteien kreierte Ironimus den dicklichen Mann mit Trachtenjoppe und -hut (ÖVP) und den hageren Typen mit Schirmkappe und drei Pfeilen (SPÖ). Wo sind diese Zeiten . . .
Am liebsten zeichnete er Kreisky
Welch prächtige Originale lieferte ihm die Politik damals frei Haus auf seinen Zeichentisch im Atelier in der Operngasse! Raab, Figl, Pittermann, Klaus, Kreisky, Sinowatz. Schon allein für sie hätte man die Karikatur erfinden müssen. Sie alle begriffen, dass auch die spöttischste Zeichnung von Ironimus ihren politischen Marktwert erhöhte. Und daher waren sie stolz darauf. Bei Vranitzky blieb nur noch die herabgerutschte Brille, bei Schüssel die stechenden Augen, die vor Ehrgeiz sprühten.
Am liebsten zeichnete er Kreisky. Warum? Er hatte ein interessantes Gesicht, war elegant gekleidet. „Er war sehr leicht zu zeichnen“, bekannte unser Meister. „Er hatte etwas Intellektuelles, Individuelles an sich. Ich habe einmal einen jungen Karikaturisten getroffen. Er sagte: ,Du, Ironimus, du hast es leicht gehabt, du hattest den Kreisky. Wir haben den Faymann.‘“ Ähnlich wie „Presse“-Chef Otto Schulmeister hatte der großbürgerliche Peichl zum sozialistischen Kanzler eine ganz eigene Beziehung: „Er wollte ja immer den Widerspruch, er hat während unserer Diskussionen immer provoziert. Er wollte recht behalten, das war seine Neigung. Man muss allerdings dazusagen, er hat halt sehr oft recht gehabt.“
Dabei konnte Peichl ganz schön uncharmant sein. Über Werner Faymann meinte er einmal, den kenne er seit dessen Stadtrats-Zeit in Wien. „So war er immer und wird er immer sein. Eine echte politische Persönlichkeit für das Land wird der nie.“ Und über den Grünen Van der Bellen urteilte er: „Der war für mich ein lieber Schlafwagenschaffner.“
Wenig Freude hatte auch Hertha Firnberg mit ihrem Ironimus. Sie alterte zwar in Würde, aber was zu viel war, war zu viel: Der „Presse“-Karikaturist zeichnete sie stets mit stark faltigem Gesicht. Bei einem Empfang im Kanzleramt stürzte sich die Dame empört auf unseren Gustav: Bei einem Besuch in Graz hätten die Studenten gerufen: „Das Faltengebirge kommt!“ Der Übeltäter kaufte noch am selben Tag Blumen.
„Karikatur erspart mir den Psychiater“
Peichls Federstrich war unverwechselbar. Sein Humor ebenfalls. Und sein Stil erst recht. Auch in einer so laut und schnell gewordenen Zeit gebrauchte dieser Meister der Zartheit keinen Holzhammer, um die Handlungen der politisch Agierenden zu entlarven. Nie beleidigend, dennoch treffend.
Und pünktlich. Jeden Morgen um zehn Uhr lag die fertige Karikatur im Umschlag abholbereit für die „Presse“-Redaktion, säuberlich beschriftet. An diesen täglichen Kuverts konnten wir in der Redaktion das Befinden unseres „Doyens“ unschwer ablesen. Sein Strich wurde zittrig, er nahm's als Markenzeichen. „Die Karikatur ist ein Ventil für mich. Sie erspart mir sozusagen den Psychiater“, scherzte er. Und schon war er wieder bei einem der zahllosen „Events“ in Wien . . .
Zu seinem 90. Geburtstag im Vorjahr wurde er wie ein Staatsmann gefeiert, natürlich auch im von ihm selbst geplanten, keck bezipfelten Karikaturmuseum in Krems. „Es ist gar nicht gut, wenn man mit 90 so viel gelobt wird“, sagte er schelmisch. Und wir konnten mit ihm ganz besonders feiern: Er gestaltete mit uns die Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“: als Aufforderung zum Denken, Wagen, Sehen, Genießen, Bewahren, Durchhalten und Lachen.
Adieu, Gustav, Du väterlicher Freund! Sechzig Jahre lang hast Du uns zum Lächeln gebracht. Dieses Lächeln bleibt, wenn wir uns an Dich erinnern.
Zur Person
Gustav Peichl wurde 1928 in Wien geboren. Er studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste, wo er später selbst Professor und Meisterschulleiter war. Als Architekt entwarf er u. a. den Millennium Tower in Wien und die ORF-Landesstudios, er nahm zweimal an der Architekturbiennale in Venedig und an der Documenta in Kassel teil. Für die „Presse“ zeichnete er unter dem Pseudonym Ironimus 60 Jahre lang Karikaturen. Er hinterlässt drei Kinder und drei Enkelkinder.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2019)