Konjunkturflaute

„Schnelle Wachstumsraten“ kaum mehr zu schaffen

(c) REUTERS (Aly Song)
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Chinas Wirtschaft hat sich im dritten Quartal weiter abgeschwächt. Die Zentralbank senkte die Zinsen für kurzfristige Kredite, das soll die Kauflaune heben.

Shanghai/Peking/Wien. Am Singles Day, dem 11. November, jubelten Chinas Onlinehändler heuer einmal mehr über Rekordumsätze. Der Tag, ursprünglich eine Art Anti-Valentinstag für Alleinstehende, ist in China zum Anlass für die größte Rabattschlacht des Jahres avanciert. Und für die dortigen Handelsgiganten ging die Rechnung auch heuer wieder auf: Allein auf der Plattform von Alibaba gaben die Kunden binnen 24 Stunden umgerechnet knapp 35 Mrd. Euro aus, um 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Die erste Milliarde an Bestellungen war schon weniger als zwei Minuten nach Beginn des Shoppingtags geschafft, und man zählte bis zu 544.000 Bestellungen pro Sekunde.

Läuft also doch alles rund in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt? Davon kann keine Rede sein. Auch wenn sich die Verbraucher ihren liebsten Online-Einkaufstag nicht nehmen ließen: Die chinesische Wirtschaft schwächelt. Was sich auch darin zeigt, dass Chinas Zentralbank am Montag erstmals seit mehr als vier Jahren einen wichtigen Zins gesenkt hat. Der Zinssatz für kurzfristige Kredite werde von 2,55 auf 2,50 Prozent zurückgenommen, gab sie am Montag überraschend bekannt. An den Märkten wird der Schritt als Signal gewertet, dass sich die Zentralbank gegen eine Konjunktureintrübung stemmen wird – zumal sie vor rund zwei Wochen auch den Zinssatz für mittelfristige Darlehen an Finanzinstitutionen gesenkt hat.

Rückgänge in allen Sparten

Dabei übt sich Chinas Premier, Li Keqiang, immer wieder in (Zweck-)Optimismus. Noch im September lobte er die „große Widerstandsfähigkeit, das Potenzial und die Möglichkeiten“ der chinesischen Wirtschaft und sprach von einer „reibungslosen und nachhaltigen Entwicklung“. Ob das von der Regierung in Peking für heuer vorgegebene Wachstumsziel von sechs bis 6,5 Prozent noch realistisch ist, bezweifelt allerdings auch er: „Es ist eine ziemlich schwere Aufgabe für eine so große Volkswirtschaft wie China, schnelle Wachstumsraten von mehr als sechs Prozent vor dem Hintergrund der ungewissen internationalen Situation zu wahren“, sagte er angesichts vergleichsweise schwacher Daten aus Industrieproduktion, Investitionen und Handel.

Bereits im zweiten Quartal ist die Konjunktur hinter den Erwartungen zurückgeblieben, seither hat sich das Wachstum weiter verlangsamt. Von Juli bis September wuchs Chinas Wirtschaftsleistung nur noch um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, der Zuwachs fiel damit so gering aus wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. Für die ersten drei Quartale zusammen liegt Chinas Wirtschaftswachstum mit 6,2 Prozent zwar noch im Rahmen der Vorgaben der Regierung – jedoch im unteren Bereich, und der Abwärtsdruck nimmt weiter zu.

Vor allem die chinesische Industrie leidet unter den Folgen des Handelskriegs mit den USA: Ihre Produktion stieg im Oktober im Vergleich zum Vorjahr nur noch um 4,7 Prozent, sie blieb damit deutlich hinter ohnehin schon vorsichtigen Schätzungen von Analysten zurück. Aber auch die Anlageinvestitionen der Unternehmen – die als Wachstumsmotor gelten – enttäuschten. Und selbst die Einzelhandelsumsätze verfehlten im Oktober mit einem Plus von 7,2 Prozent im Jahresvergleich die Erwartungen. Den Verbrauchern machten vor allem die gestiegenen Lebensmittelpreise zu schaffen, und sie hielten sich, wie auch schon in den Monaten zuvor, mit größeren Investitionen zurück – etwa mit Autokäufen, die den 16. Monat in Folge zurückgingen.

Maue Stimmung bei Dienstleistern

Auch Chinas Dienstleistungssektor entwickelte sich zuletzt enttäuschend. Das entsprechende Barometer, der Caixin/Markit-Index, fiel im Oktober auf 51,1 (von 51,3 im September). Dieser Wert liegt zwar noch über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten, ist aber der tiefste Stand seit acht Monaten. Hinsichtlich des Jahresausblicks sanken die Erwartungen laut Umfragewerten auf den niedrigsten Stand seit Juli 2018. Anders gesagt, in vielen Dienstleistungsunternehmen ist die Stimmung mau. Dabei macht dieser Sektor mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung in der Volksrepublik aus. Auf ihm ruht noch dazu die Hoffnung der Führung in Peking, dass er die Schwäche der Industrie ausgleichen könne. (cka/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2019)

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